Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waldstadt

Waldstadt

Titel: Waldstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
Vom Netzwerk:
tief unten eine riesige schwarze Lederbörse, ein besonders dicker Geldbeutel. Er klappte auf, schnappte krokodilsgleich nach seinem Kopf und verschluckte ihn schließlich ganz, mit Haut und Haaren.
    Schweißgebadet wachte er jedes Mal daran auf. Immer wieder dasselbe furchtbare Szenario. Weiterschlafen? Ausgeschlossen!
    Die Schüler merkten genau, dass es ihrem Lehrer echt mies ging. Einige Jungs waren in Biologie noch halbwegs bei der Sache, doch die Mädchen zeigten ganz offensichtlich ihr Desinteresse, unterhielten sich ungeniert, lachten völlig respektlos, verließen sogar den Raum, um angeblich aufs Klo zu gehen, und antworteten auf seine Fragen erst gar nicht.
    »Ihr Unterricht ist todlangweilig, echt ätzend!«, schleuderte ihm eines der Mädchen frech ins Gesicht und ein anderes drohte sogar mit ihrem Vater: »Der ist Anwalt – er meint, Sie sollten sich endlich mehr anstrengen, sonst wird er sich an die Schulbehörde wenden.«
    Den anderen Lehrern blieb natürlich nicht verborgen, wie schlecht es ihrem Kollegen ging, aber keiner verlor ein Wort darüber. Er war auch mit niemandem näher bekannt, keinen konnte er um Rat fragen. Eine Pfarrerin, die nur einige Stunden in der Woche kam, um Religionsunterricht zu halten, fand er eigentlich ganz sympathisch, aber von der Kirche hatte früher schon sein Vater nichts wissen wollen und ihn entsprechend ferngehalten. Nein, er wusste wirklich nicht, mit wem er hätte reden können.
    Von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Es gelang ihm, sich mit Sport etwas abzureagieren, doch wenn er die Schule auch nur von Ferne sah, trat ihm der Angstschweiß auf die Stirn und sein Herz begann, wie wild zu klopfen. Einmal musste er den Unterricht sogar nach einer halben Stunde abbrechen und das Klassenzimmer fluchtartig verlassen. »Ich … ich muss noch was holen, bin gleich zurück«, hatte er gestammelt, doch die Neuntklässler johlten lauthals hinter ihm her.
    Er suchte einen Arzt auf, der ihn gründlich untersuchte. »Körperlich fehlt Ihnen absolut nichts, Sie sind sogar in Topform. Ihre Beschwerden müssen eine andere Ursache haben.«
    Mit der Überweisung zu einem Facharzt verließ er die Praxis, doch als er dort auf dem Türschild ›Neurologie – Psychiatrie‹ las, machte er auf dem Absatz kehrt. Auch seine Mutter war bei einem solchen Mediziner in Behandlung gewesen. Dauernd musste sie irgendwelche Behandlungen über sich ergehen lassen und die unterschiedlichsten Tabletten einnehmen, doch geholfen hatte das alles letztendlich auch nichts.
    Eine Therapie? Niemals! Was, wenn er sich bei diesen Psychogesprächen versehentlich verplapperte? Ausgeschlossen, das konnte er auf keinen Fall riskieren.
    Vielleicht war er ja wirklich ein Versager? Immer öfter erinnerte er sich an seinen Vater, der andauernd die Mutter verprügelte. Ihn, seinen einzigen Sohn, schlug er auch, meistens mit dem Hosengürtel. Schon beim geringsten Anlass gab es Dresche, so lange, bis er einmal den Gurt verkehrt herum zu fassen bekam. Die schwere Schnalle knallte voll ins Gesicht des Achtjährigen. Blut lief herunter und sein rechtes Auge tat höllisch weh.
    In der Augenklinik versuchten sie ihr Möglichstes, doch ohne Erfolg. Zuerst bekam er eine schwarze Augenklappe, später eine Prothese. Für seine Schulkameraden und die Nachbarskinder wurde er nun erst recht zum willkommenen Opfer. Das Glasauge und die schräge Narbe, die ihn für immer zeichneten, waren ein stets willkommener Anlass zum Spott.
    Wie sein Vater damals in der Klinik die Verletzung seines Kindes erklärt hatte, erfuhr er nie. Er bekam auch den Riemen nicht mehr zu spüren, aber die Verachtung, die er ihm schweigend entgegenbrachte, die spürte der Junge ganz genau. Selbst als er den Übergang aufs Gymnasium problemlos schaffte, reichte es nicht für ein gutes oder anerkennendes Wort. »Mal sehen, wie weit du kommst«, war alles, was ihm, dem Hauptschullehrer, entfuhr. Später ging es genauso weiter. Gute Noten beachtete der Vater kaum, doch wehe, eine Zensur war schlechter als zwei.
    Es hagelte bissige Kommentare: »Aus dir wird nie was Rechtes«, »lange wird es wohl nicht mehr gehen, dann muss ich dich runternehmen«, »da ist doch Hopfen und Malz verloren«, brannten sich mit jedem Mal tiefer in die Seele des Jungen ein. Die Mutter tröstete ihn immer wieder, aber ihre Krankheit war übermächtig. Mehr als ein Streicheln über den Kopf war nicht drin. Auch später, als der Vater nicht mehr da war, änderte sich daran nichts. Dass

Weitere Kostenlose Bücher