Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
menschliche Grösse weit überragend. Seit uralten Tagen nannten die Gaubewohner ihn Grendel. Niemand kennt ihre Sippe. In Wolfsschluchten hausen die Unholde, auf windigen Klippen, in gefährlichen Sumpflöchern und dort, wo Bergströme zwischen Geklüft niederstürzen und das Land unterwühlen. Nicht weit von hier ist’s bis zum Meer, wo ein düstrer Hain steht mit knorrigen Wurzeln, das Wasser überschattend ("überhelmend"). Allnächtlich kann man dort ein schauerliches Wunder sehen; Feuer ist in der Flut! Aber niemand lebt, der je die Tiefe erforscht hätte. Wenn der hornstarke Hirsch, von Hunden gehetzt, dahin flieht, lässt er eher sein Leben dort am Ufer, als dass er sich in jenem Wald berge. Dort ist’s nicht geheuer! Dunkel und trübe steigen die Wellen gegen die Wolken empor, wann der Sturm in bösen Wettern tobt und die Luft sich verfinstert. Du allein kannst wieder helfen! Den gefährlichen Ort kennst du noch nicht, wo du das Scheusal finden magst; such’s, wenn du’s wagst. Herrlich will ich dir den Kampf lohnen, kehrst du wieder."
"Fasse dich, weiser Fürst," antwortete Beowulf, "mehr frommt’s, einen Freund rächen, als ihn viel betrauern. Jeden erwartet sein Lebensende; wer’s vermag, der vollbringe Heldentat; das taugt dem Mann am meisten dereinst nach dem Tod. Auf! Lass uns hurtig die Spur von Grendels Mutter suchen. Sie soll keinen Schutz vor mir finden, nicht im Schoss der Erde noch im Bergwald noch auf des Meeres Grund, wohin sie auch floh. Das schwör’ ich dir! Gedulde dich nur noch diesen Tag."
Der Greis erhob sich, dankte den Göttern für Beowulfs Gelöbnis und befahl, den Hengst zu zäumen. Gerüstet ritt der König einer Schar kampflustiger Recken voran. Die Fussspur war auf den Waldwegen deutlich zu sehen, sie lief gerad’ hinaus übers düstre Moor. Die Riesin hatte den toten Äskher mitgeschleift. Bald mussten sie über steile Felshänge auf schmalen, ihnen unbekannten Pfaden wandern und über schroff abfallende Klippen, wo Nicker hausten.
Hrodgar ritt mit wenigen Freunden spähend voraus, bis die auf einen Hügel kamen, wo ragende Bäume graues Gestein überschatteten. Unten die Meerflut war trübe von Blut, und Äskhers blutiges Haupt stak auf einer Holmklippe; mit bitterem Weh schauten es die Schildinge; sie stiessen in die Hörner und bliesen mit langgezogenen Tönen eine schaurige Totenklage. Alle sassen nieder. In den Wellen aber sahen sie allerlei Schlangen, seltsame Seedrachen sich tummeln und Nixe auf den Klippen lauern. Eiligst entfloh all das Ungetier vor dem gellenden Horn. Einem schoss Beowulf mit dem Pfeil in die Weiche; sterbend versuchte es, noch davonzuschwimmen, aber noch lebend wurde das scheussliche Wassertier mit hakigen Saufängern auf den Strand gezogen und voll Staunen betrachtet.
7. Der Kampf im Meer.
Rasch bewehrte sich Beowulf mit seiner Brünne; – sie schützte ihm sie Brust gegen Bisse, wie der Eberhelm das Haupt. Hunferd lieh ihm sein altererbtes Schwert, Hrunting hiess es. Die Klinge war von Eisen, mit Gift gebeizt und in Blut gehärtet; nie hatte es im Kampf getrogen.
Längst reuten Hunferd sie bösen Worte, sie er, weintrunken, geredet hatte; sich selbst fühlte er nicht stark genug zu dem Kampf in kühler Flut; – so lieh er neidlos dem Kühnern seine Waffe.
"Sohn Healfdens," sprach Beowulf, "gedenke nun, was wir gestern sprachen; du wollest mir an Vaters Stelle sein, Hrodgar, lieber Fürst; sei, wenn ich falle, meinen Gefährten ein Schirmherr. Die Schätze, die du mir gegeben hast, sende Hygelak, damit er erkenne, wenn er die Gaben bewundert, welch freigiebigen Herrn ich hier fand. Hunferd aber habe zum Ersatz das Schwert, welches du mir reichtest. Nun will ich mir Ruhm erringen oder mich halte der Tod."
Ohne die Antwort abzuwarten, eilte Beowulf ans Ufer und tauchte hinunter in die wallende Brandung. Eine Weile dauerte es, bevor er des Meeres Grund erkennen konnte. Da sah die hassgrimme Seewölfin, wie ein Mann von oben herab ihre Höhne auszuforschen strebte. Sofort fuhr sie ihm entgegen mit ihren Krallen, doch vergebens versuchte sie mit ihren greulichen Fingern des Helden Brünne zu zerkratzen; ihm geschah kein Leid.
Da zog sie ihn nieder auf den Meergrund und zerrte ihn in ihren Saal. Dabei fielen ihn von allen Seiten wunderliche Seetiere an und zerbissen mit Fangzähnen sein Heerkleid, die Arme ihm hemmend, so dass er gar nicht sein Schwert gebrauchen konnte. Nun sah er, dass sie beide in einen Meersaal gekommen waren, wo
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