Wallander 06 - Die fünfte Frau
Afrikareise gehen will, ohne eine einzige Unterhose einzupacken.«
»Das hat er also bestimmt nicht getan«, sagte Hansson.
»Was wiederum darauf schließen läßt, daß jemand den Koffer umgepackt hat«, sagte Martinsson. »Beispielsweise eine Frau. Und dabei verschwindet Runfelts gesamte Unterwäsche.«
Wallander spürte die Spannung im Raum.
»Noch etwas«, sagte er langsam. »Aus irgendeinem Grund, den wir noch nicht kennen, sind Runfelts Unterhosen verschwunden. Aber gleichzeitig ist ein fremder Gegenstand in dem Koffer gelandet.«
Er zeigte auf die blaue Plastikklemme. Ann-Britt Höglund hatte noch die Handschuhe an.
»Riech da mal dran«, sagte Wallander.
Sie tat, was er sagte. »Ein diskretes weibliches Parfüm«, war ihre Reaktion.
Es war still im Raum. Zum erstenmal hielten die Ermittler den Atem an.
Schließlich brach Nyberg das Schweigen. »Soll das besagen, daß eine Frau in all diese Abscheulichkeiten verwickelt ist?«
»Wir können das auf jeden Fall nicht mehr ausschließen«, gab |327| Wallander zurück. »Auch wenn nichts direkt dafür spricht. Außer diesem Koffer.«
Es wurde wieder still. Lange.
Es war halb acht geworden. Sonntag, der 16. Oktober.
Kurz nach sieben war sie zur Eisenbahnbrücke gekommen. Es war kalt. Sie bewegte die ganze Zeit die Füße, um sie warm zu halten. Es würde noch dauern, bis der Mann kam, auf den sie wartete. Mindestens eine halbe Stunde, vielleicht länger. Aber sie kam stets sehr früh. Mit Schaudern erinnerte sie sich an die Gelegenheiten in ihrem Leben, als sie zu spät gekommen war. Als sie Menschen hatte warten lassen. Als sie Räume betreten hatte, wo Menschen sie angestarrt hatten.
Sie würde nie mehr zu spät kommen. Sie hatte ihr Leben nach einem Zeitplan eingerichtet, der ihr Spielraum gab.
Sie war vollkommen ruhig. Der Mann, der bald unter der Brücke durchgehen würde, war ein Mann, der es nicht verdiente zu leben. Sie konnte ihn nicht hassen. Hassen konnte die Frau, der so übel mitgespielt worden war. Sie stand hier im Dunkeln und wartete nur darauf, das Notwendige zu tun.
Das einzige, was sie zweifeln ließ, war, ob sie warten sollte. Der Backofen war leer. Aber ihr Dienstplan für die nächste Woche war kompliziert. Sie wollte nicht riskieren, daß er im Backofen starb. Sie hatte den Beschluß gefaßt, daß es sofort geschehen mußte. Sie war auch nicht im Zweifel darüber gewesen, wie es vor sich gehen sollte. Die Frau, die von ihrem Leben erzählt hatte und die ihr schließlich seinen Namen verriet, hatte von einer mit Wasser gefüllten Badewanne erzählt. Wie es sich anfühlte, unter Wasser gepreßt zu werden und fast zu ersticken, von innen heraus zersprengt zu werden.
Sie hatte an die Sonntagsschule gedacht. Das Höllenfeuer, das auf den Sünder wartete. Die Angst saß noch immer tief drinnen. Niemand wußte, wie die Sünde bemessen wurde. Und niemand wußte, wann die Strafe ausgeteilt wurde. Über diese Angst hatte
|328|
sie mit ihrer Mutter nie sprechen können. Und sie hatte sich nach dem letzten Augenblick im Leben ihrer Mutter gefragt. Die algerische Polizistin, Françoise Bertrand, hatte geschrieben, daß alles sehr schnell gegangen sei. Sie könne nicht gelitten haben. Es könne ihr kaum bewußt geworden sein, was mit ihr geschah. Aber woher wollte sie das wissen? Hatte sie trotz allem versucht, einen Teil der Wahrheit zu verschweigen, der allzuschwer zu ertragen war?
Über ihr fuhr ein Zug vorbei. Sie zählte die Wagen. Dann war es wieder still.
Nicht in Feuer, dachte sie. Sondern in Wasser. In Wasser soll der Sünder vergehen.
Sie sah auf ihre Uhr. Merkte, daß einer der Schnürsenkel ihrer Turnschuhe aufging. Sie beugte sich nieder und knotete ihn. Fest. Ihre Finger waren stark. Der Mann, auf den sie wartete und den sie in den letzten Tagen überwacht hatte, war klein und fett. Er würde ihr keine Probleme bereiten. Das Ganze würde in einem Augenblick vorüber sein.
Ein Mann mit Hund ging auf der anderen Straßenseite unter der Brücke durch. Seine Schritte hallten auf dem Bürgersteig. Die Situation erinnerte sie an einen alten Schwarzweißfilm. Sie machte das Einfachste, tat, als warte sie auf jemanden. Sie war sicher, daß er sich nachher nicht an sie erinnern würde. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gelernt, unbemerkt zu bleiben, sich unsichtbar zu machen. Erst jetzt hatte sie verstanden, daß dies eine Vorbereitung auf etwas war, von dem sie früher noch nichts gewußt hatte.
Der Mann mit dem
Weitere Kostenlose Bücher