Wallander 06 - Die fünfte Frau
Nacht. Und da ist sie niedergeschlagen worden. Ich wurde am Morgen hingerufen.«
»Was war passiert?«
»Die unbekannte Frau war wieder aufgetaucht. Als Ylva versuchte, sie aufzuhalten, wurde sie niedergeschlagen. Ylva sagte, es wäre gewesen, als ob ein Pferd sie getreten hätte.«
»Sie hatte die Frau vorher nie gesehen?«
»Nein.«
»Und sie trug Schwesterntracht?«
»Ja. Aber Ylva war sicher, daß sie nicht im Krankenhaus angestellt war.«
»Wie konnte sie sicher sein? Es müssen doch viele im Krankenhaus arbeiten, die sie nicht kennt.«
»Sie war sicher. Leider habe ich sie nicht gefragt, warum.«
Wallander überlegte. »Diese Frau hat sich zwischen dem 30. September und dem 13. Oktober für die Entbindungsstation interessiert«, sagte er. »Sie macht zwei nächtliche Besuche und zögert nicht, eine Hebamme niederzuschlagen. Die Frage ist, was sie eigentlich da getan hat.«
»Das fragt Ylva sich auch.«
»Und sie hatte keine Antwort?«
»Sie sind beide Male durch alle Zimmer der Station gegangen. Aber alles war normal.«
Wallander sah auf die Uhr. Bald Viertel vor elf. »Ruf bitte deine Cousine an«, sagte er. »Es ist nicht zu ändern, wenn wir sie vielleicht wecken.«
Svedberg nickte. Wallander zeigte auf sein Telefon. Er wußte, daß Svedberg, der oft vergeßlich war, ein ausgeprägtes Gedächtnis für Telefonnummern hatte. Svedberg wählte. Ließ es lange klingeln. Niemand nahm ab.
»Wenn sie nicht zu Hause ist, bedeutet das, daß sie arbeitet«, sagte er, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte.
Wallander erhob sich hastig. »Um so besser«, sagte er. »Ich war nicht mehr auf einer Entbindungsstation, seit Linda geboren wurde.«
|379| »Die alte Abteilung ist abgerissen worden«, sagte Svedberg. »Da ist alles neu gebaut.«
Sie brauchten nur ein paar Minuten, um in Svedbergs Wagen zur Ambulanz des Krankenhauses zu fahren. Wallander erinnerte sich an die Nacht vor einigen Jahren, als er mit so heftigen Schmerzen in der Brust aufgewacht war, daß er glaubte, er habe einen Herzinfarkt. Damals hatte die Ambulanz an einer anderen Stelle gelegen. Das ganze Krankenhaus schien umgebaut zu sein.
Sie läuteten. Kurz darauf kam eine Wache und öffnete ihnen. Wallander zeigte seinen Polizeiausweis. Sie gingen die Treppen hinauf zur Entbindungsstation. Die Wache hatte sie angemeldet. An der Tür der Station wartete eine Frau auf sie.
»Meine Cousine«, sagte Svedberg. »Ylva Brink.«
Wallander begrüßte sie. Im Hintergrund ging eine Schwester. Ylva Brink nahm die beiden mit in einen kleinen Büroraum. »Im Moment ist es ziemlich ruhig«, sagte sie. »Aber das kann sich sehr schnell ändern.«
»Ich möchte direkt zur Sache kommen«, sagte Wallander. »Ich weiß, daß alle Informationen über Personen, die sich aus irgendeinem Grund im Krankenhaus befinden, vertraulich behandelt werden müssen. Ich beabsichtige auch nicht, gegen diese Regel zu verstoßen. Das einzige, was ich vorläufig wissen möchte, ist, ob zwischen dem 30. September und dem 13. Oktober eine Frau hier auf der Station war, die ein Kind bekommen sollte, und die die Initialen KA hatte. Zum Beispiel K wie Karin, A wie Andersson.«
Ein Schatten von Besorgnis zog über Ylva Brinks Gesicht. »Ist etwas passiert?«
»Nein«, sagte Wallander. »Ich muß nur eine Person identifizieren. Sonst nichts.«
»Ich kann darauf nicht antworten«, sagte sie. »Das sind ganz und gar vertrauliche Informationen. Wenn nicht die Entbindende schriftlich erklärt hat, daß Auskünfte darüber, daß sie hier ist, erteilt werden dürfen. Das gilt meiner Ansicht nach auch für Initialen.«
»Früher oder später muß jemand meine Frage beantworten«, sagte Wallander. »Mein Problem ist, daß ich es jetzt wissen muß.«
»Ich kann Ihnen trotzdem nicht helfen.«
|380| Svedberg hatte nichts gesagt. Wallander sah, daß er die Stirn in
Falten zog. »Gibt es hier eine Toilette?« fragte er.
»Um die Ecke.«
Svedberg nickte Wallander zu. »Du hast doch gesagt, du müßtest mal auf die Toilette. Am besten nutzt du jetzt die Gelegenheit.«
Wallander verstand. Er erhob sich und verließ das Zimmer.
Er wartete fünf Minuten auf der Toilette, bevor er zurückging. Ylva Brink war nicht da. Svedberg stand über ein paar Papiere gebeugt, die auf dem Tisch lagen.
»Was hast du gesagt?« fragte Wallander.
»Daß sie der Familie keine Schande machen soll«, antwortete
Svedberg. »Außerdem habe ich ihr erklärt, daß sie ein Jahr Gefängnis bekommen
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