Wallander 06 - Die fünfte Frau
ihre Zähne geachtet?«
Wallander sah Svedberg an, der den Kopf schüttelte.
»War sie geschminkt?«
»Nicht auffallend.«
»Wie sahen die Hände aus? Hatte sie falsche Fingernägel?«
»Die hatte sie mit Sicherheit nicht. Ylva Brink sagte, das hätte sie bemerkt.«
Birch hatte sich Notizen gemacht. Er nickte. »Mal sehen, was wir tun können«, sagte er. »Die Überwachung hier vor dem Haus muß sehr diskret ablaufen. Sie wird auf der Hut sein.«
Sie gingen auseinander. Svedberg gab Wallander seine Wagenschlüssel. Unterwegs versuchte Wallander zu verstehen, warum |398| Katarina Taxell nicht zugeben wollte, daß sie in den Nächten, als sie auf der Entbindungsstation lag, zweimal Besuch hatte. Wer war die Frau? Wie hing sie mit Katarina Taxell und Eugen Blomberg zusammen? Wie liefen die Drähte weiter? Wie sah die Kette aus, die zu dem Mord führte?
Gleichzeitig fühlte Wallander eine innere Unruhe und fürchtete, auf einem vollkommen falschen Weg zu sein. Möglicherweise brachte er die Ermittlung völlig vom Kurs ab, auf ein Gebiet mit Unterwasserriffs, die zu guter Letzt dazu führen konnten, daß sie Schiffbruch erlitten.
Nichts konnte ihn mehr quälen, ihm den Schlaf rauben, ihm Magenschmerzen verursachen, als die Vorstellung, daß er die Ermittlung mit voller Fahrt in den Untergang steuerte. Er hatte das schon früher erlebt. Daß Ermittlungen sich plötzlich bis zur Unkenntlichkeit zersplitterten. Daß nichts übrigblieb, als ganz von vorn anzufangen. Und es war sein Fehler gewesen.
Es war halb zehn, als er vor dem Präsidium parkte. Als er an der Anmeldung vorüberkam, hielt Ebba ihn fest. »Hier herrscht das totale Chaos«, sagte sie.
»Was ist denn passiert?«
»Lisa Holgersson will sofort mit dir sprechen. Es geht um den Mann, den Svedberg und du heute nacht an der Straße gefunden habt.«
»Ich gehe zu ihr«, sagte Wallander.
»Tu das sofort«, sagte Ebba.
Wallander ging auf direktem Weg zu ihrem Büro. Die Tür stand offen. Hansson saß im Zimmer, er sah blaß aus. Daß Lisa Holgersson erregter war, als er sie je zuvor gesehen hatte, war auch klar. Sie zeigte auf einen Stuhl. »Ich glaube, du hörst dir einmal an, was Hansson zu erzählen hat.«
Wallander zog die Jacke aus und setzte sich.
»Åke Davidsson«, sagte Hansson. »Ich hatte heute morgen ein längeres Gespräch mit ihm.«
»Wie geht es ihm?« fragte Wallander.
»Es sieht schlimmer aus, als es ist. Aber andererseits ist es schlimm genug. Mindestens genauso schlimm wie die Geschichte, die er zu erzählen hatte.«
|399| Hansson hat nicht übertrieben, dachte Wallander später. Er hatte zugehört, erst mit Verblüffung, dann mit wachsender Empörung. Hansson hatte kurzgefaßt und klar berichtet. Aber die Geschichte trat dennoch über alle Ufer. Wallander dachte, daß er an diesem Herbstmorgen etwas gehört hatte, was er bis dahin nicht für möglich gehalten hatte. Nun war es geschehen, und sie würden gezwungen sein, damit zu leben. Schweden veränderte sich ständig. Häufig handelte es sich um schleichende Veränderungen, die man erst im nachhinein einordnen konnte. Aber manchmal hatte Wallander das Gefühl, daß ein Ruck durch die ganze Gesellschaft ging. So jedenfalls empfand er die Veränderungen, die er als Polizeibeamter registrierte und erlebte.
Hanssons Geschichte über Åke Davidsson war so ein Ruck, der dazu führte, daß Wallanders Bewußtsein erschüttert wurde.
Åke Davidsson war Beamter bei der Sozialverwaltung in Malmö. Er war aufgrund seines schlechten Sehvermögens als teilweise arbeitsunfähig eingestuft. Nach langjährigem Kampf war es ihm gelungen, einen Führerschein mit Auflagen zu bekommen. Seit dem Ende der siebziger Jahre hatte Åke Davidsson ein Verhältnis mit einer Frau in Lödinge. Am gestrigen Abend hatte sie Schluß gemacht. Im Normalfall übernachtete Åke Davidsson in Lödinge, weil er im Dunkeln nicht fahren durfte. Jetzt war er gezwungen gewesen, es doch zu tun. Er hatte sich verfahren und schließlich angehalten, um nach dem Weg zu fragen. Da war er von einer Nachtpatrouille freiwilliger Wachen niedergeschlagen worden, die sich in Lödinge organisiert hatten. Sie hatten ihn als Dieb hingestellt und sich geweigert, seine Erklärung zu akzeptieren. Seine Brille war verschwunden, vielleicht war sie zerschlagen worden. Er war bewußtlos geprügelt worden und erst wieder zu sich gekommen, als die Sanitäter ihn auf die Trage hoben.
Das war Hanssons Geschichte von Åke Davidsson. Aber es war
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