Wallander 06 - Die fünfte Frau
gibt.«
Svedberg erreichte ihn zu Hause. Er gab Wallander den Hörer. Wallander erklärte in aller Kürze, was geschehen war. Birch versprach, in zwanzig Minuten dazusein. Sie saßen im Auto und warteten. Der Himmel war grau. Es regnete nicht. Aber der Wind war stärker geworden. Birchs Auto hielt hinter ihnen. Wallander erklärte ihm genauer, was bei dem Gespräch mit Ylva Brink herausgekommen war. Birch hörte aufmerksam zu. Wallander konnte aber sehen, daß er skeptisch war.
Dann gingen sie hinein. Katarina Taxell wohnte im ersten Stock links.
|390| »Ich halte mich im Hintergrund«, sagte Birch. »Das Gespräch mußt du führen.«
Svedberg klingelte an der Tür. Sie wurde fast augenblicklich geöffnet. Vor ihnen stand eine Frau im Morgenrock. Sie hatte vor Müdigkeit dunkle Ringe unter den Augen. Wallander dachte, daß sie ihn an Ann-Britt Höglund erinnerte.
Wallander grüßte und versuchte, so freundlich wie möglich zu klingen. Aber als er sagte, daß er Polizeibeamter sei und aus Ystad komme, sah er, daß sie reagierte. Sie gingen in die Wohnung, die einen kleinen und engen Eindruck machte. Überall sah man Zeichen davon, daß sie gerade ein Kind bekommen hatte. Wallander erinnerte sich daran, wie es in seiner eigenen Wohnung ausgesehen hatte, als Linda geboren war. Sie betraten ein Wohnzimmer mit hellen Holzmöbeln. Auf dem Tisch lag eine Broschüre, die Wallanders Aufmerksamkeit erweckte: »Taxells Haarpflegemittel«. Das gab ihm eine denkbare Erklärung, womit sie sich als Selbständige beschäftigte.
»Es tut mir leid, daß wir so früh kommen«, sagte er, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Aber unser Anliegen kann nicht warten.«
Er war sich nicht sicher, wie er fortfahren sollte. Sie saß ihm genau gegenüber und ließ sein Gesicht nicht aus den Augen.
»Sie haben gerade auf der Entbindungsstation in Ystad ein Kind bekommen«, sagte er.
»Einen Jungen«, sagte sie. »Er wurde am 15. geboren. Um drei Uhr am Nachmittag.«
»Meine herzlichen Glückwünsche«, sagte Wallander. Svedberg und Birch schlossen sich murmelnd an.
»Ungefähr zwei Wochen vorher«, fuhr Wallander fort, »um genau zu sein in der Nacht zwischen dem 30. September und dem 1. Oktober – ich möchte gern wissen, ob Sie Besuch hatten, erwartet oder unerwartet, irgendwann nach Mitternacht.«
Sie blickte ihn verständnislos an. »Wer sollte das gewesen sein?«
»Eine Krankenschwester, die Sie vielleicht früher noch nicht gesehen hatten?«
»Ich kannte alle, die nachts gearbeitet haben.«
|391| »Diese Frau kam zwei Wochen später noch einmal«, sagte er. »Und wir glauben, daß sie da war, um Sie zu besuchen.«
»In der Nacht?«
»Ja. Irgendwann nach zwei Uhr.«
»Mich hat niemand besucht. Außerdem habe ich geschlafen.«
Wallander nickte langsam. Birch stand hinter dem Sofa, Svedberg saß auf einem Stuhl an der Wand. Alles war plötzlich sehr still.
Sie warteten darauf, daß Wallander fortfuhr.
Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er war immer noch müde. Eigentlich hätte er fragen sollen, warum sie so lange auf der Entbindungsstation gelegen hatte. Waren während der Schwangerschaft Komplikationen aufgetreten? Aber er ließ es auf sich beruhen.
Etwas anderes war wichtiger.
Es war ihm nicht entgangen, daß sie nicht die Wahrheit sagte. Er war überzeugt davon, daß sie Besuch gehabt hatte. Und daß sie wußte, wer die Frau war.
|392| 28
Ein Kind begann plötzlich zu schreien. Katarina Taxell stand auf und verließ das Zimmer. Wallander hatte sich im gleichen Moment entschieden, wie er das Gespräch weiterführen wollte. Schon vom ersten Augenblick an hatte er etwas Unbestimmtes und Ausweichendes an ihr wahrgenommen. Die langen Jahre als Polizist, in denen er gezwungen war, den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit zu erspüren, hatten ihm ein fast unfehlbares Gefühl dafür gegeben, wann jemand von der Wahrheit abwich. Er stand auf und trat ans Fenster zu Birch. Svedberg kam hinzu. Sie steckten die Köpfe zusammen, und Wallander sprach mit leiser Stimme. Die ganze Zeit behielt er die Tür im Auge.
»Sie sagt nicht die Wahrheit«, flüsterte er.
Die anderen schienen nichts gemerkt zu haben. Oder sie waren weniger überzeugt. Aber sie machten keine Einwände.
»Es ist möglich, daß das hier seine Zeit braucht«, sagte Wallander. »Aber weil ich der Meinung bin, daß sie für uns von entscheidender Bedeutung ist, gebe ich nicht klein bei. Sie weiß, wer diese Frau ist. Und ich bin überzeugter
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