Wallander 06 - Die fünfte Frau
Erinnerung. Die Bäume waren sehr hoch, er hätte sie bemerken müssen. Einsam draußen zwischen den Äckern. Er betrachtete nun das Haus, den Mittelpunkt des Bildes. Zwischen 1949 und 1965 hat das Haus sein neues Dach bekommen. Ein Nebengebäude, vielleicht ein Schweinestall, ist abgerissen worden. Die Auffahrt ist breiter. Aber sonst ist alles unverändert. Er nahm die Brille ab und blickte durchs Fenster. Dann setzte er sich in einen Ledersessel und überließ sich seinen Gedanken. Ein Chevrolet fährt nach Svenstavik. Eine Frau kommt mit zurück nach Schonen. Dann verschwindet sie. Siebenundzwanzig Jahre später stirbt der Mann, der vielleicht einst nach Svenstavik fuhr und sie holte.
Er blieb eine halbe Stunde in der Stille sitzen. Er dachte daran, daß sie jetzt nach nicht weniger als drei Frauen suchten. Krista Haberman, Katarina Taxell und einer, die für sie noch keinen Namen hatte, die aber einen roten Golf fuhr und vielleicht manchmal falsche Fingernägel hatte und selbstgedrehte Zigaretten rauchte.
Oder suchten sie vielleicht nur nach zwei Frauen? Wenn zwei von ihnen identisch waren? Wenn Krista Haberman trotz allem noch lebte? Dann könnte sie jetzt fünfundsechzig Jahre alt sein. Die Frau, die Ylva Brink niedergeschlagen hatte, war bedeutend jünger.
|464| Es paßte nicht. Das ebensowenig wie vieles andere.
Er blickte auf die Uhr. Viertel vor neun. Er stand auf und verließ das Haus. Der Nebel war so dicht wie zuvor. Er dachte an den leeren Hundezwinger. Dann schloß er ab und fuhr davon.
Um zehn war es Wallander gelungen, die Ermittlungsgruppe zu einer Besprechung zusammenzutrommeln. Nur Martinsson fehlte. Er hatte versprochen, am Nachmittag zu kommen. Während der Morgenstunden war er in Tereses Schule. Ann-Britt Höglund konnte erzählen, daß er sie spät am Vorabend angerufen hatte. Sie hatte den Eindruck, daß er nicht nüchtern gewesen war, was sie an ihm nicht kannte. Wallander fühlte einen Anflug von Neid. Warum rief Martinsson sie an und nicht ihn? Immerhin waren sie es, die in all den Jahren zusammengearbeitet hatten.
»Er scheint noch immer entschlossen zu sein, aufzuhören«, sagte sie. »Aber ich hatte das Gefühl, daß er wünschte, ich würde ihm widersprechen.«
»Ich werde mit ihm reden«, sagte Wallander.
Sie schlossen die Tür des Sitzungszimmers. Per Åkesson und Lisa Holgersson kamen als letzte. Wallander hatte das unbestimmte Gefühl, daß sie gerade eine eigene Besprechung beendet hatten.
Sobald es ruhig geworden war, ergriff Lisa Holgersson das Wort.
»Das ganze Land diskutiert die Bürgerwehren«, sagte sie. »Von jetzt an ist Lödinge für jedermann hierzulande ein Begriff. Es ist eine Anfrage aus Göteborg gekommen, ob Kurt heute abend im Fernsehen an einer Diskussionsrunde teilnehmen kann.«
»Niemals«, sagte Wallander erschrocken. »Was soll ich denn da?«
»Ich habe schon in deinem Namen abgesagt«, sagte sie schmunzelnd. »Aber ich erwarte dafür zu gegebener Zeit einen Gegendienst.«
Wallander nahm an, daß sie damit auf die Vorlesungen an der Polizeihochschule anspielte.
»Die Diskussion ist vergiftet und hitzig«, fuhr sie fort. »Wir können nur hoffen, daß es wenigstens das eine Gute hat, daß die |465| Leute sich mit diesem Gefühl von zunehmender Rechtsunsicherheit wirklich auseinandersetzen.«
»Im besten Fall kann es auch die höchste Polizeiführung im Land zu ein bißchen Selbstkritik zwingen«, sagte Hansson. »Die Polizei selbst ist ja nicht schuldlos an der ganzen Entwicklung.«
»Woran denkst du?« fragte Wallander. Da Hansson sich selten an Diskussionen über die Polizei beteiligte, interessierte es ihn besonders.
»Ich denke an all die Skandale, in die Polizeibeamte aktiv verwickelt waren. Das hat es vielleicht immer gegeben, aber nicht so häufig wie jetzt.«
»Das sollte man weder überbewerten noch bagatellisieren«, sagte Per Åkesson. »Das große Problem ist die gradweise Verschiebung dessen, was die Polizei und die Gerichte als Verbrechen bewerten. Was gestern noch zur Verurteilung führte, das kann heute plötzlich als Bagatelle betrachtet werden, um deren Aufklärung sich die Polizei nicht einmal mehr zu kümmern braucht. Und ich glaube, das ist ein Affront gegen das allgemeine Rechtsbewußtsein, das hier bei uns immer stark gewesen ist.«
»Das eine hängt wohl mit dem anderen zusammen«, sagte Wallander. »Und ich bezweifle, daß eine Debatte über die Bürgerwehren die Entwicklung beeinflußt. Auch wenn ich es
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