Wallander 06 - Die fünfte Frau
ihn in einem sehr unpassenden Augenblick gestört habe.«
Wallander verstand nicht gleich, worauf Birch hinauswollte.
»Mitten in einem Liebesakt«, kicherte Birch. »Manchmal ist es richtig unterhaltsam, Polizist zu sein.«
Wallander fuhr nach Malmö. Er fragte sich, woher Birch wissen konnte, daß er mitten in einem Liebesakt gestört hatte. Dann ging er zu der Kellnerin über, die sie suchten. Er dachte, daß es die |492| vierte Frau war, die in ihrer Ermittlung auftauchte, die jetzt seit genau einem Monat andauerte. Krista Haberman, Eva Runfelt, Katarina Taxell; die unbekannte Kellnerin war die vierte Frau. Er fragte sich, ob es wohl noch eine Frau gab, eine fünfte. War es die, nach der sie suchten? Oder waren sie am Ziel, wenn sie die Zugkellnerin aufgespürt hatten? Hatte sie nächtliche Besuche auf der Entbindungsstation in Ystad gemacht? Ohne es genau begründen zu können, zweifelte er jedoch daran, daß die Kellnerin die Frau war, nach der sie eigentlich suchten. Vielleicht konnte sie sie weiterführen? Mehr konnte er kaum hoffen.
Er fuhr in seinem alten Auto durch die graue Herbstlandschaft und fragte sich gedankenverloren, wie der Winter wohl werden würde. Wann hatten sie zuletzt weiße Weihnachten gehabt? Er konnte sich nicht erinnern, so lange war es her.
Er hatte Glück und fand gleich vor dem Haupteingang des Bahnhofs einen Parkplatz. Einen kurzen Moment war er in Versuchung, noch schnell eine Tasse Kaffee zu trinken, bevor Birch kam. Aber er ließ es sein, die Zeit war zu knapp.
Er entdeckte Birch auf der anderen Seite des Kanals. Er kam über die Brücke. Vermutlich hatte er oben am Markt geparkt. Sie begrüßten sich. Birch hatte eine viel zu kleine Zipfelmütze auf dem Kopf. Er war unrasiert und hatte nicht genug Schlaf bekommen.
»Habt ihr angefangen zu graben?« fragte er.
»Um sieben Uhr«, antwortete Wallander.
»Ob ihr sie findet?«
»Schwer zu sagen. Aber es ist nicht undenkbar.«
Birch nickte düster. Dann zeigte er auf den Bahnhof. »Wir sollen einen Mann treffen, der Karl-Henrik Bergstrand heißt«, sagte er. »Normalerweise fängt er nicht so zeitig an zu arbeiten. Er hat aber versprochen, extra früh zu kommen, um uns zu empfangen.«
»War das der, den du im unpassenden Augenblick gestört hast?«
»Da kannst du sicher sein.«
Sie betraten das Verwaltungsgebäude der SJ und wurden von Karl-Henrik Bergstrand in Empfang genommen. Wallander |493| betrachtete ihn verstohlen und versuchte, sich den Augenblick vorzustellen, von dem Birch gesprochen hatte. Dann sah er ein, daß es sein eigenes nichtexistentes Sexualleben war, das ihn störte.
Beschämt verwarf er den Gedanken. Karl-Henrik Bergstrand war ein Mann um die Dreißig. Wallander nahm an, daß er das jugendliche neue Profil von SJ repräsentierte. Sie begrüßten sich und stellten sich vor.
»Ihr Anliegen ist ungewöhnlich«, sagte Bergstrand und lachte. »Aber wir wollen sehen, was wir tun können.«
Er führte sie in sein geräumiges Büro. Wallander empfand seine Selbstsicherheit als auffallend. Als er selbst dreißig war, war er in bezug auf das meiste im Leben noch sehr unsicher gewesen.
Bergstrand hatte sich hinter den großen Schreibtisch gesetzt. Wallander betrachtete die Möbel im Raum. Möglicherweise erklärten sie, warum die Fahrpreise der SJ so hoch waren.
»Wir suchen also eine Angestellte in einem Speisewagen«, begann Birch. »Wir wissen nicht viel mehr, als daß es eine Frau ist.«
»Eine überwältigende Mehrheit derer, die bei ›Service im Zug‹ arbeiten, sind Frauen«, antwortete Bergstrand. »Ein Mann wäre entschieden leichter zu finden.«
Wallander hob die Hand. »Wie heißt es eigentlich? ›Zugrestaurants‹ oder ›Service im Zug‹?«
»Beide Namen gehen.«
Wallander war zufrieden. Er sah Birch an. »Wir wissen nicht, wie sie heißt«, sagte er. »Wir wissen auch nicht, wie sie aussieht.«
Bergstrand sah ihn fragend an. »Muß man wirklich jemanden finden, von dem man so wenig weiß?«
»Manchmal geht es nicht anders«, gab Wallander zurück.
»Wir wissen aber, in welchem Zug sie gearbeitet hat«, sagte Birch.
Sie gaben Bergstrand die Auskünfte, die sie von Annika Carlman bekommen hatten.
»Das ist ja drei Jahre her«, sagte er,
»Das ist uns klar«, sagte Wallander. »Aber wir nehmen an, daß die SJ Karteien ihrer Angestellten hat?«
|494| »Eigentlich kann ich auf so etwas keine Antwort geben«, sagte Bergstrand schulmeisternd. »SJ ist ein Konzern, der in zahlreiche
Weitere Kostenlose Bücher