Wallander 06 - Die fünfte Frau
verfolgten, in ihr Haus eingedrungen waren. Immer noch hatte sie einen großen Vorsprung. Sie würden sie nie einholen. Sie würde ihre Zettel auseinanderfalten, solange noch ein einziger Name in dem Buch stand.
Sie ließ den Motor wieder an. Beschloß, noch einmal an ihrem Haus vorbeizufahren.
Der Wagen stand noch dort. Sie bremste zwanzig Meter dahinter, ohne den Motor abzustellen. Trotz des großen Abstands und des ungünstigen Winkels konnte sie erkennen, daß die Gardinen in ihrer Wohnung vorgezogen waren. Die Männer, die drinnen waren, hatten Licht gemacht. Jetzt suchten sie. Aber sie würden nichts finden.
Sie fuhr davon. Zwang sich, es achtsam zu tun, ohne daß die Räder durchdrehten wie sonst bei ihr.
Wallander war zu dem Briefbündel zurückgekehrt, als er eilige Schritte auf der Treppe hörte. Er stand auf. Es war Martinsson. Kurz hinter ihm kam Ann-Britt Höglund.
»Ich glaube, du siehst dir das hier einmal an«, sagte Martinsson. Er war bleich, seine Stimme zitterte. Er legte ein abgegriffenes Notizbuch mit schwarzem Umschlag auf den Tisch. Es war aufgeschlagen. Wallander beugte sich darüber und setzte seine |522| Brille auf. Da stand eine Reihe von Namen. Am Rand hatten alle eine Nummer. Er runzelte die Stirn.
»Blättre mal ein paar Seiten weiter«, sagte Martinsson.
Wallander blätterte. Die Namenreihe kam wieder. Da es Pfeile, Streichungen und Änderungen gab, hatte er das Gefühl, eine Kladde vor sich zu haben.
»Noch ein paar Seiten«, sagte Martinsson.
Wallander hörte, daß er aufgewühlt war.
Die Reihe der Namen kam noch einmal. Diesmal mit weniger Änderungen und Umstellungen.
Da sah er es.
Den ersten Namen kannte er. Gösta Runfelt. Dann fand er auch die anderen, Holger Eriksson und Eugen Blomberg. Am äußersten Rand neben den Namen waren Daten eingetragen.
Ihre Todestage.
Wallander blickte Martinsson und Ann-Britt Höglund an. Beide waren bleich.
Es gab keinen Zweifel mehr. Sie waren am Ziel ihrer Suche.
»In diesem Buch stehen über vierzig Namen«, sagte Wallander. »Hat sie vor, die alle umzubringen?«
»Wir wissen auf jeden Fall, wer als nächster an der Reihe ist«, sagte Ann-Britt Höglund und wies auf einen Namen.
Tore Grundén.
Vor seinem Namen stand ein rotes Ausrufezeichen. Aber auf der rechten Seite war kein Todesdatum eingetragen.
»Ganz hinten liegt ein loses Blatt«, sagte Ann-Britt Höglund.
Wallander nahm es vorsichtig heraus. Es waren pedantisch geschriebene Aufzeichnungen. Wallander fühlte sich unwillkürlich an die Handschrift seiner Exfrau Mona erinnert. Die Buchstaben waren gerundet, die Zeilen gerade und regelmäßig. Ohne Streichungen und Änderungen. Doch was da stand, war schwer zu deuten. Was bedeuteten die Notizen? Ziffern, der Ortsname Hässleholm, ein Datum. Etwas, was eine Uhrzeit aus einem Fahrplan sein konnte, 7 Uhr 50. Das Datum von morgen. Samstag, der 22. Oktober.
»Was zum Teufel bedeutet das?« sagte Wallander. »Steigt Tore Grundén um 7 Uhr 50 in Hässleholm aus?«
|523| »Vielleicht steigt er ein«, sagte Ann-Britt Höglund.
»Ruf Birch in Lund an. Er hat die Telefonnummer eines Mannes in Malmö, der Karl-Henrik Bergstrand heißt. Er soll ihn wecken und ihm eine Frage stellen: Arbeitet Yvonne Ander in dem Zug, der morgen früh um 7 Uhr 50 in Hässleholm hält oder abfährt?«
Martinsson holte sein Telefon heraus. Wallander starrte das aufgeschlagene Notizbuch an.
»Wo ist sie?« fragte Ann-Britt Höglund. »Ich meine, jetzt? Wir wissen, wo sie sich vermutlich morgen früh befindet.«
Wallander sah sie an. Hinter ihr hatte er die Bilder und Fotografien im Blickfeld. Plötzlich war es ihm klar. Er hätte sofort darauf kommen müssen. Er ging zur Wand und nahm die gerahmte Fotografie des Hofes herunter. Drehte sie um.
Hansgården in Vollsjö. 1965,
hatte jemand mit Tinte darauf geschrieben.
»Hier wohnt sie«, sagte er. »Und da befindet sie sich vermutlich im Augenblick.«
»Was tun wir?« fragte sie.
»Wir fahren hin und nehmen sie fest«, erwiderte Wallander.
Martinsson hatte Birch erreicht. Sie warteten. Das Gespräch war kurz.
»Er schmeißt Bergstrand aus dem Bett«, sagte Martinsson.
Wallander hielt noch das Notizbuch in der Hand. »Dann gehen wir«, sagte er. »Die anderen nehmen wir auf dem Weg mit.«
»Wissen wir, wo der Hansgården liegt?« fragte sie.
»Den finden wir in unseren Grundstücksregistern«, sagte Martinsson. »Dafür brauche ich keine zehn Minuten.«
Sie hatten es jetzt
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