Wallander 06 - Die fünfte Frau
eine unbekannte Frau, als Krankenschwester verkleidet, auf der Entbindungsstation umherwandert«, sagte sie und reichte ihm das Blatt zurück.
»Das klären wir auf, wenn wir Zeit haben«, erwiderte er ironisch. Er wollte es schon in den Papierkorb werfen, überlegte es sich aber anders. Er würde das Blatt Svedberg morgen zurückgeben.
Sie trennten sich im Flur.
»Wer versorgt denn deine Kinder?« fragte er. »Ist dein Mann zu Hause?«
»Der ist in Mali«, erwiderte sie.
Wallander wußte nicht, wo Mali lag, fragte aber nicht.
Sie verließ das leere Polizeigebäude. Wallander legte die Papiere auf seinen Tisch und nahm seine Jacke. Auf dem Weg zum Ausgang blieb er bei der Einsatzleitstelle stehen, wo ein einsamer Polizist saß und Zeitung las.
»Keiner, der angerufen hat wegen Lödinge?« fragte er.
»Nichts.«
Wallander ging zu seinem Wagen. Es war windig. Er dachte daran, daß er keine Antwort auf seine Frage bekommen hatte, wie Ann-Britt Höglund ihre Probleme mit der Beaufsichtigung der Kinder löste. Er suchte lange in seinen Taschen, bis er den Wagenschlüssel fand. Dann fuhr er nach Hause. Obwohl er sehr müde war, blieb er im Sofa sitzen und durchdachte noch einmal alles, was im Lauf des Tages geschehen war. Am meisten grübelte er darüber nach, was Ann-Britt Höglund gesagt hatte, kurz bevor sie sich trennten. Daß der Mord an Holger Eriksson mehr war. Etwas anderes.
Aber konnte ein Mord mehr sein als ein Mord?
Es war fast drei, als er zu Bett ging. Kurz vor dem Einschlafen dachte er noch, daß er am nächsten Tag seinen Vater und Linda anrufen mußte.
Er erwachte mit einem Ruck, als es sechs Uhr war. Er hatte etwas geträumt. Holger Eriksson hatte gelebt. Er stand auf dem Holzsteg, der über den Graben führte. Gerade als er brach, erwachte |117| Wallander. Er zwang sich aufzustehen. Draußen hatte es wieder angefangen zu regnen. In der Küche merkte er, daß kein Kaffee mehr da war. Statt dessen suchte er ein paar Kopfschmerztabletten und saß dann lange am Tisch, den Kopf in eine Hand gestützt.
Um Viertel nach sieben kam er ins Präsidium. Auf dem Weg zu seinem Zimmer holte er eine Tasse Kaffee.
Als er die Tür öffnete, entdeckte er etwas, das er am Abend vorher nicht gesehen hatte. Auf dem Stuhl am Fenster lag ein Paket. Erst als er näher hinsah, erinnerte er sich an die Benachrichtigungskarte aus Gösta Runfelts Wohnung. Ebba hatte das Paket also abholen lassen. Er hängte die Jacke weg und begann, das Paket zu öffnen. Dabei fragte er sich, ob er eigentlich das Recht dazu hatte. Er schlug das Packpapier zurück und betrachtete den Inhalt mit gerunzelter Stirn.
Seine Zimmertür stand offen. Martinsson ging vorbei.
Wallander rief ihn.
Martinsson blieb in der Tür stehen.
»Komm rein«, sagte Wallander. »Komm rein und sieh dir das an.«
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Sie beugten sich über Gösta Runfelts Karton.
Wallander sah nur ein Durcheinander von Kabeln, Verbindungsrelais und schwarzen Miniaturdosen und ahnte nicht, wofür das Zeug zu gebrauchen war. Aber Martinsson wußte offenbar, was Gösta Runfelt da bestellt und was die Polizei vorerst bezahlt hatte.
»Das hier ist eine avancierte Abhöranlage«, sagte er und nahm eine der Dosen heraus.
Wallander betrachtete ihn skeptisch. »Kann man wirklich über einen Postversand in Borås komplizierte elektronische Ausrüstungen kaufen?« fragte er.
»Du kannst so gut wie alles per Postversand kaufen«, sagte Martinsson. »Die Zeiten sind vorbei, wo Postversandfirmen zweitrangige Waren verkauften. Das gibt es vielleicht noch immer. Aber das hier ist erstklassige Ware. Ob es legal ist, sollten wir allerdings mal untersuchen. Der Import solcher Sachen unterliegt strengen Vorschriften.«
Sie packten den Karton auf Wallanders Schreibtisch aus. Es zeigte sich, daß es nicht nur eine Ausrüstung für das Abhören von Gesprächen war. Zu ihrer größten Verblüffung fanden sie auch eine Packung, die einen Magnetpinsel und Eisenfeilspäne enthielt. Das ließ nur einen Schluß zu: Runfelt hatte die Absicht, Fingerabdrücke zu sichern.
»Hast du eine Erklärung dafür?« fragte Wallander.
Martinsson schüttelte den Kopf. »Das wirkt sehr merkwürdig«, sagte er.
»Wozu braucht ein Blumenhändler eine Abhöranlage? Um seinen Konkurrenten in der Tulpenbranche nachzuspionieren?«
»Die Fingerabdrücke sind noch seltsamer.«
Wallander runzelte die Stirn. Er verstand das nicht. Die Ausrüstung war teuer. Sie war mit Sicherheit technisch hochmodern. |119|
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