Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
immerhin besitzt du ja ein Schwert, da solltest du auch allein zurechtkommen.«
Plötzlich hatte ich ein Gefühl, als hätte mir gerade jemand das Herz durch das Ohr herausgezogen. Ich blickte nicht nach unten, aber es war klar, daß der Truppführer den verfluchten thrakischen Säbel an dem Gehenk um meinen Hals sehen konnte. Ob er ihn wiedererkannt hatte? Ich bezweifelte sehr stark, daß derartige Schwerter in diesem Teil Siziliens alltäglich waren. Meine innere Stimme verwünschte mich als leichtfertigen Vollidioten, doch gelang es mir, das Gesicht nicht zu verziehen.
»Das trage ich nur zur Zierde«, sagte ich. »Ich bin nicht gerade das, was man einen Kämpfer nennt. Das überlasse ich lieber euch Jungs.«
Der Truppführer lachte. »Danke für deine Hilfe«, verabschiedete er sich und riß sein Pferd herum.
»Seht bloß zu, daß ihr diese Athener fangt!« rief ich ihm hinterher. »Mir ist jetzt nicht mehr so wohl dabei, ohne Begleitung den Hof meines Vetters zu verlassen, wenn sich Athener in der Nähe befinden. Allerdings hätte ich auch keine besondere Lust, auf dem Hof zu sein, falls die auf die Idee kommen sollten, dort einzubrechen«, fügte ich hinzu. »Deshalb bin ich vielleicht besser dran, wenn ich schnell weiterfahre.«
Der Truppführer lachte erneut und führte seinen Trupp den Weg zurück, den er gekommen war. Für einen Augenblick hatte ich Angst, er werde in Richtung des Hofs abbiegen – was ich an seiner Stelle getan hätte –, doch er ritt schnurstracks daran vorbei und war verschwunden. Ich ließ die Zügel sinken und begann am ganzen Körper zu zittern. Das alles hier ist nicht meine Welt, sagte ich zu meiner inneren Stimme – und dieses Mal stimmte sie mir ausnahmsweise zu. Aber (erwiderte meine innere Stimme) du brauchst dir keine Sorgen zu machen, weder heute noch in Zukunft. Du bist auserwählt worden zu überleben. Du hast die Pest überlebt. Du hast den Krieg überlebt. Du hast die ganze Zeit auf Sizilien überlebt. Der alte Schmied, der nicht sterben konnte, ist gestorben. Der Veteran von Himera ist gestorben. Die Athener aus Eleusis, die noch nicht verhungert waren, sind gestorben. Alle außer dir und dem Sohn des Philippos sind gestorben, und der Sohn des Philippos wird wie die alten Helden vor Troja von dem Gott beschützt, deshalb zählt er nicht. Höchstwahrscheinlich wirst du ewig leben.
An diesem Tag begegnete ich noch etlichen anderen Reisenden, hatte aber mit keinem von ihnen Schwierigkeiten. Mittlerweile war ich selbst davon überzeugt, ein syrakusischer Bauer auf Besuch bei seinen Vettern in der Nähe von Leontini zu sein. Ich hieß Pelopidas, Sohn des Temenos, und besaß an den Hängen des Epipolai vierundzwanzig Morgen – mit verschiedenen Getreidesorten bebautes – Acker- und Weideland sowie ein paar Weinstöcke auf der anderen Seite des Berges. Meine Gattin, Kallistrata, war zwar eine große, schwere Frau von üblem Charakter, aber wir hatten zwei prächtige Söhne, Leon und Gigas, und Gigas war bereits als Lehrling von einem alteingesessenen Töpfer in der Stadt angenommen worden; er täte gut daran, in der Töpferei zu arbeiten. Außerdem hatten wir noch eine Tochter namens Theodora gehabt, die jedoch schon im Alter von zehn Jahren an einer Erkältung gestorben war. Während des Kriegs wohnten wir in der Stadt, was unbequem war, und als Soldat hatte ich meinen Teil geleistet. Zwar hatte ich die Sache auf dem Epipolai verpaßt, war dafür aber bei der Vernichtung am Garten hinter der Mauer dabeigewesen, als wir es diesen Athenern ein für allemal gezeigt haben. Diesen letzten Teil wollte ich gar nicht mit in meine Lebensgeschichte aufnehmen, aber ich konnte nicht anders. Wie sehr ich mich auch bemühte, mein Leben umzuschreiben, dieses Ereignis konnte ich einfach nicht auslassen.
Wahrscheinlich war es nur gut, daß ich nicht zum Spielen dieser Rolle aufgefordert wurde, die ich mir selbst auf den Leib geschrieben hatte, da sie vermutlich nur so vor Ungenauigkeiten strotzte. Doch ich muß gestehen, daß es mir Spaß machte, Pelopidas, Sohn des Temenos, zu sein. Denn einerseits stand er auf der Siegerseite, und andererseits war er hier zu Hause. Vielleicht verfügte er nicht über den Reichtum und die Begabungen eines, sagen wir mal, Eupolis oder selbst eines Aristophanes, aber dafür trachtete ihm auch niemand nach dem Leben, und vor allem machte es ihm nicht so viel aus, wenn er nie nach Catina käme. Bei Zeus, ich beneidete ihn.
Vorsichtig packte ich in
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