Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
mir, aber sie stieß mich zurück.
»Jetzt nicht. Sag mir endlich, was los ist. Du kannst einen manchmal wirklich wütend machen.«
Ich setzte mich und zog die Stiefel aus. »Thrax, bring mir bitte die Sandalen!« rief ich. »Und wenn Brot und Käse im Haus ist, hätte ich auch nichts dagegen.«
»Ehrlich gesagt, verstehe ich dich nicht«, sagte Phaidra.
»Ich weiß«, entgegnete ich.
Phaidra blickte mich böse an. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir das gefallen lasse. Ich meine, dein Verhalten ist doch lächerlich. Jetzt sag mir endlich, was los ist.«
Allmählich wünschte ich, dies zu können; aber ich sah keine Möglichkeit mehr, wie ich es ihr hätte beibringen sollen. Ich hatte die ganze Geschichte von vornherein äußerst schlecht gehandhabt, aber so etwas war nichts Neues bei mir, Thrax brachte mir das Brot und den Käse, und ich machte mich ans Essen.
»Willst du es mir nun sagen, oder muß ich erst auf den Marktplatz gehen und dort die Leute fragen?« Phaidra ließ nicht locker.
Ich stellte den Teller hin und streifte mir die Krümel ab. »Phaidra, wie wäre es, wenn wir…« Das, was ich sagen wollte, fiel mir zunächst nicht ein; es war aber auch nicht wichtig und hätte zudem lächerlich geklungen. Es war etwas wie ›… wenn wir ganz von vorn anfangen würden‹, was wir sowieso niemals getan hätten. Ausgeschlossen.
»Wenn wir was?«
»Ach, nichts«, winkte ich ab, und jetzt erst wußte ich, daß ich wirklich zu Hause war. »Phaidra, das gesamte Heer ist ausgelöscht worden. Alle sind tot.«
Sie starrte mich entsetzt an. »Bist du verrückt geworden?«
»Nein. Warum, weiß ich allerdings auch nicht. Phaidra, es war einfach schrecklich. Alle sind tot. Demosthenes und Nikias auch. Alle. Von unseren Soldaten hat nur eine Handvoll überlebt.«
»Ich… ich verstehe das nicht«, stammelte sie. »Jetzt versuch doch mal bitte, vernünftig mit mir zu reden.«
»Die Syrakuser haben gewonnen. Sie haben unser Heer vernichtet. Vernichtet, getötet, ausgelöscht, niedergemetzelt, erledigt, eliminiert, dezimiert, es gibt einfach kein passendes Wort dafür. Ich bin geflohen und nach Catina entkommen. Aristophanes, Sohn des Philippos, und ich. Ich nehme an, außer uns haben noch ein paar hundert Soldaten überlebt. Aber die anderen sind alle tot. Ich habe uns bis Catina gebracht, und wir sind mit einem Frachtschiff zurückgekommen. Die anderen sind noch nicht auf dem Rückweg.«
Für einen Augenblick spürte ich das gesamte Gewicht der Niederlage auf mir lasten; Sie wissen ja, wie es ist, wenn man starke Zahnschmerzen hat und man glaubt, den Schmerz nicht länger ertragen zu können. Es war, als ob ich durch Phaidras Gegenwart allmählich auftaute, als würde ich jeden Moment weich werden und in Stücke zerfallen, so daß alles auf einmal herauskäme, als erbräche ich mich. Meine innere Stimme verlangte von mir, ihr alles zu erzählen, und zwar auf der Stelle, einfach so, wie es mir einfiel, um das Gift unter dem Abszeß loszuwerden und mich wieder besser zu fühlen. Wenn du dich nicht sofort davon befreist mit den ganzen Tränen und dem Trost, den du in Phaidras Armen findest, wirst du das Gift nie mehr los, du Narr! ermahnte sie mich. Aber für diesen kurzen Augenblick riß ich mich noch einmal zusammen und verschluckte die Wörter, die mir schon auf den Lippen lagen; und dann sah ich plötzlich alles von außen, und zwar eher wie ein neutraler Beobachter als ein Beteiligter des Geschehens. Und zu diesem Zeitpunkt ergriff ich Phaidras Hand, aber ich tat nicht mehr als das, obwohl ich versucht war, den Kopf in ihrem Schoß zu vergraben und mich unter ihren Armen zu verbergen. Ich begriff, daß ich mich von diesem einzigartigen Besitz nicht trennen wollte, nämlich von diesem großen Geheimnis, das mir der Gott anvertraut hatte. Wie ein Geizkragen einen Topf Münzen versteckt, wollte ich dieses Geheimnis irgendwo gut verbergen, damit es niemand fand.
Schließlich hob ich den Kopf und blickte ihr in die Augen. »Ach, Phaidra, ich habe während meiner Abwesenheit die außergewöhnlichsten Dinge gesehen.«
Phaidra verhielt sich in diesem Augenblick großartig. Zwar wollte sie unbedingt von mir wissen, was genau passiert war – wie wäre es Ihnen an ihrer Stelle ergangen? –, aber sie saß einfach nur da und wartete ab, während ich innere Kämpfe ausstand und obwohl ich mich ihr wie jedem anderen gegenüber versperrte. Wäre ich zu diesem Zeitpunkt weich geworden, wie es meistens der Fall war,
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