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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Wähler, damit sie für Ihren Vorschlag stimmen, und machen sich dann wieder an Ihre eigentliche Arbeit. Das ist natürlich sehr hart für Antimachos, wäre aber ein durchaus legitimes Vorgehen, falls es sich bei ihm um einen allgemein bekannten Politiker handeln würde, weil er dann schon lange damit hätte rechnen müssen, zumal er wüßte, daß das System nur auf diese Weise funktioniert.
    Nach der Nachricht von der sizilianischen Katastrophe war der Glaube der Athener an ihre eigene Allmacht natürlich stark erschüttert. Anfangs hatten alle viel zu sehr mit ihrer übermächtigen Angst zu kämpfen, um klare Gedanken fassen zu können, aber nachdem einige Wochen vergangen waren und die Spartaner noch immer keine Keramikvasen geplündert hatten, fühlten sie sich nicht mehr besiegt und argumentierten auch entsprechend. Wir haben die Eroberung Siziliens angeordnet (sagten die Athener), was nicht geschah. Nun ist alles, was wir anordnen, so gut wie erledigt, es sei denn, jemand von uns sabotiert die Anordnung absichtlich, und da wir allmächtig sind, können nur wir selbst uns davon abhalten, etwas dagegen zu unternehmen. Deshalb müssen wir die Verräter bestrafen. Die Generäle Nikias und Demosthenes können nicht mehr bestraft werden, da sie bereits tot sind. Trotzdem können wir etwas tun; nämlich die wirklich Schuldigen bestrafen. Es steht außer Frage, daß man die beiden Generäle nicht bezichtigen kann, zumal sie wie Helden gestorben sind, und Helden streifen nicht durch die Lande, um Verrat zu begehen und ihren eigenen Tod herbeizuführen. Die einzig möglichen Verräter sind diese jungen Männer, die die Statuen zerstört hatten. Deshalb müssen sie getötet werden. Bevor man sie tötet, ist es allerdings erforderlich, sie zu finden. Deshalb müssen wir sie finden. Der Umstand, daß wir sie gegenwärtig nicht finden können, läßt sich nur durch eine Verschwörung erklären. Deshalb werden wir die Verschwörer töten.
    Und auf diese Weise gingen die Athener dann auch tatsächlich vor. Ihr Test, mit dem festgestellt wurde, ob jemand an der Verschwörung beteiligt war oder nicht, war ebenso genial wie einfach. Wie sie wußten, streiten sämtliche Verschwörer, sobald sie einem Verhör unterzogen werden, jegliches Mitwissen an einer Verschwörung ab. Wenn nun ein Mann vor Gericht stand und der Ankläger ihn fragte, was er über die Verschwörung wisse, und er mit ›Überhaupt nichts‹ antwortete, steckte man ihn ins Gefängnis und spendierte ihm einen Schierlingsbecher. Wenn der Beschuldigte hingegen gescheit war und sagte: ›Zufälligerweise weiß ich, wer an der Verschwörung beteiligt gewesen ist. Es waren Lysikles und Phaonides und die anderen aus dem Gymnasion‹, dann pflegte man die komplette Gruppe auszulöschen; auch den Denunzianten, und zwar mit der Begründung, daß er, wenn er von der Verschwörung gewußt und niemandem vor seinem Prozeß davon unterrichtet habe, in jeder Hinsicht selbst wie ein Verschwörer zu behandeln sei.
    Wirklich merkwürdig daran war, daß keiner der Männer, die getötet wurden, auch nur das geringste mit dem Umwerfen der Statuen zu tun gehabt hatte. Nun hätte man erwarten sollen, daß bei dieser willkürlichen Vorgehensweise – bei der sozusagen Stichproben aus den politischen Klassen gezogen wurden –, es irgendwann wenigstens einen der Randalierer hätte treffen müssen. Aber sie schienen dagegen gefeit zu sein, und ich konnte mich relativ sicher fühlen. Ich sage relativ; im Klartext bedeutete das, daß ich mir, wenn ich mich an eine Schüssel Haferbrei heranmachte und schnell schlürfte, berechtigte Hoffnungen machen konnte, auch noch am Leben zu sein, sobald ich alles aufgegessen hätte. Mein Alptraum war, daß einer der tatsächlichen nächtlichen Störenfriede während eines allgemeinen Rundumschlags festgenommen werden könnte, um schließlich die Nerven zu verlieren und zu gestehen, wobei solch einleuchtende und erhärtende Fakten ans Tageslicht kämen, daß ihm selbst meine begriffsstutzigen Mitbürger geglaubt hätten. In diesem Zusammenhang würde sicherlich auch mein Name fallen, als jemand, der tatsächlich am Ort des Geschehens gewesen war, und was ich als nächstes davon mitbekommen dürfte, wäre ein besorgniserregendes Gefühl der Taubheit vom Kopf bis zu den Zehen.
    Als die Angelegenheit allmählich immer spannender wurde und die Geschworenen bereits in Schichten arbeiteten, um sich mit den unerledigten Fällen zu befassen, klopfte eines Abends

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