Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
ein Mann namens Demeas an meine Tür. Nun war Demeas nur einer von vielen Meistern eines Gewerbes, das mittlerweile fast ausgestorben ist, obwohl es vereinzelte Bemühungen gibt, es wiederzubeleben; er war ein berufsmäßiger Spitzel und konnte seinen Lebensunterhalt recht gut davon bestreiten. Seine hauptsächliche Arbeit bestand darin, Schmuggelware zu melden, wofür er als Gegenleistung einen gewissen Prozentsatz des Warenwerts erhielt, und ich kann Ihnen versichern, daß er eine beinahe übernatürliche Gabe besaß, allein durch Hinsehen festzustellen, welche Güter geschmuggelt waren und welche nicht. Wie mir berichtet wurde, war er schon in jungen Jahren bei dem berühmten Nikarchos, dem vielleicht größten Spitzel aller Zeiten, in die Lehre gegangen, was eine mögliche Erklärung für seine fast instinktiven Fähigkeiten wäre. Als nun diese Geschichte mit den Statuen hochgespielt wurde, machte sich Demeas mit einer solchen Begeisterung an die Arbeit, daß sie allen Gewerbetreibenden, die im Leben etwas erreichen wollen, als Ansporn dienen sollte. Doch wurde seine Arbeit sozusagen durch den Mangel an Rohstoffen leicht behindert. So wie man ohne Glasur keine schöne Töpferware fertigen kann, bringt man auch ohne Zeugen keine erfolgreiche Anklage zustande; und da bei dieser Affäre die Sterblichkeitsquote unter den Zeugen fast genauso hoch wie die unter den Angeklagten war, hatte sich der kümmerliche Rest der noch lebenden Berufszeugen lieber freiwillig zurückgezogen, und zum erstenmal in der Geschichte Athens gab es keinen Ansturm von Nachwuchstalenten auf die freigewordenen Plätze. Unter normalen Umständen reißt sich ein Athener darum, Zeuge zu sein, insbesondere in einem Hochverratsprozeß. Das bietet einem nämlich die Möglichkeit, am Niedergang einer führenden öffentlichen Persönlichkeit beteiligt zu sein (was einen mit Stolz erfüllt und wovon man seinen Enkeln später erzählen kann), und darüber hinaus erhält man die Gelegenheit, in der Öffentlichkeit zu reden, und dieser Verlockung kann kein Athener widerstehen, wenn er nicht gerade eine Hasenscharte hat. Aber da so viele Zeugen praktisch von einer Neben- in eine Hauptrolle gedrängt wurden, war es nicht einfach, jemanden zu finden, der auch nur im entferntesten glaubwürdig war, selbst nicht für einen ansehnlichen Geldbetrag als Gegenleistung. Daher auch Demeas’ Besuch bei mir.
Wenn eine Person mit einem solchen gesellschaftlichen Ruf wie Demeas es für angebracht hält, bei einem vorbeizuschauen, dann läßt man ihn nicht lange vor der Tür warten, erst recht nicht, wenn überall auf der Straße Leute stehen, die ihn sehen könnten. Genausowenig weigert man sich, ihm zuzuhören, egal, was er einem zu sagen hat, da man ansonsten riskiert, im nachhinein eine Menge Dinge über sich selbst zu erfahren, von denen man zuvor noch nie etwas gewußt hat.
»Eupolis«, begann Demeas, wobei er den Weinkrug absetzte und die Füße in Richtung der Feuerstelle streckte, »soweit ich weiß, kennst du Aristophanes, Sohn des Philippos.«
»Ja.«
»Du bist doch mit ihm in Sizilien gewesen, nicht wahr?«
»Ja.«
Demeas nickte zustimmend. »So ist es mir auch berichtet worden.« Er war recht klein; aus irgendeinem Grund sind alle Spitzel zu kurz geraten – nach allem, was man so hört, soll auch Nikarchos ein winziges Kerlchen gewesen sein. Demeas hatte kräftige, breite Schultern, einen fast kreisrunden Kopf, kurzes Haar und nicht einmal die Andeutung eines Nackens. Am kleinen Finger der linken Hand trug er einen Siegelring mit einem Löwen drauf, und sein Chiton war von Rotweinflecken übersät. Seine äußere Erscheinung sagte mir nicht sonderlich zu, aber zugegebenermaßen neige ich dazu, durch solche irrationalen Gründe spontan eine Abneigung gegenüber einem Menschen zu entwickeln.
»Als du in Sizilien warst, hat sich da Aristophanes irgendwann einmal zu der Entweihung dieser heiligen Statuen geäußert?« fragte er.
»Nein, jedenfalls kann ich mich an nichts dergleichen erinnern«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Demeas winkelte den Kopf an. »Worüber habt ihr euch denn unterhalten?«
»In erster Linie haben wir über den Krieg diskutiert, dann wie man am besten dem Feind aus dem Weg geht und über das Stück, das er gerade geschrieben hatte, und ähnliche Dinge.«
»Also seid ihr beide miteinander recht gut befreundet gewesen, nicht wahr?«
Ich roch Gefahr und entschied mich, den Fragen lieber auszuweichen. »Befreundet würde ich
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