Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Geliebten schweben zu lassen, als sie derbe Tritte vor der Tür vernahm. Ein schwarzer Sklave trat ein.
»Folge mir zur Herrin, sie will dich sprechen.«
Myrrah riß sich gewaltsam aus ihren Schwärmereien.
»Ich komme,« sagte sie, ihre einfachen Kleider ordnend.
»Laß das,« erwiderte der Sklave.
»Was soll ich lassen?«
»Hier ist ein besseres Kleid für dich,« sagte der Schwarze, ein bisher verborgen gehaltenes Paket hervorziehend, »lege dein Kleid ab.«
»Warum? Dieses Gewand gefällt mir nicht.«
»Warum? Weiß ich das?« sagte der Sklave ärgerlich, »du sollst, das genügt. Ob dir das Gewand gefällt oder nicht, gilt gleich!«
Myrrah entfaltete das Gewand. Es war einer jener kostbaren Stoffe, wie ihn nur die vornehmen Ägypterinnen trugen, wie es diese Damen liebten, so außerordentlich fein gesponnen, daß diejenige, die damit bekleidet war, ebensogut ohne denselben hätte erscheinen können, denn er ließ den Körper, wie als läge er in den kristallenen Wogen einer Badewanne, durchschimmern. Myrrahs Schamhaftigkeit fühlte sich verletzt, als sie sich in diesem Gewand dachte, sie gab es mit entschiedener Gebärde zurück. Der Sklave entfernte sich, als sie bemerkte, sie könne dies Gewand nicht anlegen, es widerstrebe ihr, kam aber sogleich mit dem Befehl zurück, man würde sie zwingen, wenn sie sich weigere, es zu tragen. Widerwillig fügte sie sich dem Befehl, entkleidete sich, und als die neuen Falten um ihre durchschimmernden Glieder flossen, trat der Äthiopier, der zuvor das Zimmer verlassen, wieder ein.
»Ziere dich nicht,« sprach er zu der sich verschämt Abwendenden, sie wohlgefällig betrachtend, »du stehst jetzt im Begriff, dein Glück zu machen. Die Herrin wählte mit kluger Vorsicht dies Gewand, damit du dich vorteilhaft ausnimmst. Folge mir und fasse Mut. Es wäre besser, du trätest keck auf; deine Schönheit gibt dir schon das Recht, den Kopf hoch zu tragen, kleine Lotosblume.«
Zitternd folgte sie dem Voranschreitenden durch die dunkeln Hallen. Eine bange Ahnung flog, wie ein aufgescheuchtes Wild, an ihrer Seele vorüber; sie fühlte, daß jetzt die Stunde einer Entscheidung für sie gekommen war. Die Diener, die sie vorübergehen sahen, blieben schmunzelnd stehen, mit lauten Worten ihre Schönheit bewundernd, was ihr Begleiter mit einem Gesicht hinnahm, das auf große Dinge hinzudeuten schien. Endlich hielt der Sklave vor einer Türe. Lautes Gespräch scholl aus dem Inneren; Myrrahs Herz schlug zum Zerspringen, als bei ihrem Eintritt das Gespräch einen Augenblick verstummte. Sie befand sich in dem teppichbelegten Schlafgemach der Herrin. Auf einem großen Tisch, der mit Papyrusrollen bedeckt war, stand ein schöngeschnitztes Schreibgerät, mit dessen Rohrfeder Asso lächelnd spielte, während hinter ihrem Stuhl ein junges, sehr aufgeputztes Frauenzimmer stand und ihr gegenüber ein Mann saß, welcher eifrig eine der Rollen überlas. Die auf dem Tische stehende metallene Lampe warf einen rötlich trüben Schein auf dieses Mannes Antlitz, dessen scharfgebogene Nase bis jetzt noch auf die Rolle herabgebeugt war. Myrrah, nachdem sie sich gesammelt hatte, erkannte mit der höchsten Bestürzung in diesem schwarzbärtigen, gelblich blassen Leser Isaak, und in der mit Goldflittern behangenen, überladen geschmückten Schönen hinter dem Stuhl der Herrin, Rebekka. Zugleich kam ihr jene Gestalt wieder in Erinnerung, die sich seit einigen Tagen so häufig in ihre Nähe gedrängt, und der sie bis jetzt keine Beachtung geschenkt – diese Gestalt, das wußte sie nun, war Isaak gewesen. Zu welchem Zwecke hatten sich die Geschwister hier eingefunden? Sie warfen ihr oft so bedeutungsvolle Blicke zu, sie sahen sich oft geheimnisvoll lächelnd an, dann schauten sie wieder vielverheißend auf die Eingetretene. Was rief die beiden gerade in diesem Augenblicke hierher? Warum diese feierlichen Vorbereitungen? Hier schien irgendeine ernste Verabredung getroffen, ein wichtiger Entschluß gefaßt worden zu sein, der vielleicht folgeschwer in das Leben der Verlassenen eingriff. Das ganze Benehmen der Versammelten deutete auf eine vorzunehmende Tat hin, die vorher in reifliche Erwägung gezogen worden war, und deren Für und Wider man in heftigem Gespräch beleuchtet.
Myrrahs Gehirn ward wie von Schwindel erfaßt, sie sah und hörte kaum mehr, was um sie her vorging, erwartungsvoll blieb sie an der Türe stehen.
Jetzt erhob sich neben Asso ein schmaler, feingebauter Ägypter, den sie zuvor noch
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