Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
banger ward es der Unglücklichen ums Herz. Endlich sollte sich denn dies Geheimnis, das wie auf Fledermausflügeln durch das Haus schwebte, lösen, endlich sollte ihr offenbar werden, vor welchem Abgrund sie bisher schlafend gelegen, in welchen Händen sie ihr argloser, ahnungsloser Menes zurückgelassen.
Eines Abends saß Myrrah müde von des Tages Arbeit auf ihrem kleinen Zimmer; die Sonne schickte sich eben an, hinter einem Palmenwäldchen wie hinter einer Gardine zu verschwinden, um glühend rot ihr Bad im gelbflammenden Nil zu nehmen, dessen Wogen vor Sehnsucht brannten, bebten, den gewaltigen Râ, den Herrscher des Weltalls, in sich aufzunehmen. Myrrah hatte diesem Schauspiel durch ihr Fensterchen zugesehen; dann rückte sie ihr ärmliches, polsterloses Lager zurecht, setzte sich darauf und verzehrte eine halbverschimmelte Dattel, das einzige Abendbrot, das ihr für heute gereicht worden war. Die letzten Strahlen des Tagesgestirns sanken auf die kahlen Dielen des Gemaches und verliehen den rohen, öden Lehmwänden für einige Augenblicke den Goldglanz eines königlichen Prunksaales. Dann nahm allmählich der Purpurschein vom Himmel traurigen Abschied; die Dämmerung stahl sich schüchtern in das Zimmerchen. Das arme Kind hatte, fast stumpf, wenigstens teilnahmlos vor sich niedergeblickt. Die vielen schlaflosen Nächte, die beständige Herzensangst, die Qual der Ungewißheit über ihr Schicksal machten sich geltend; zu der geistigen Abspannung gesellte sich nun auch eine körperliche. Welchen Weg nahm ihr Leben? Was stand ihr noch alles bevor? Warum ließ Menes nichts von sich hören? Sie gestand sich selbst mit Schrecken, daß sie kaum mehr fähig sei, irgend etwas deutlich zu empfinden; es war eine völlige Gleichgültigkeit über sie gekommen; die Gedanken spielten willkürlich mit ihrem Herzen. So saß sie eine Zeitlang wie geistesabwesend; schon dämmerte es stärker, als die Türe leise aufgedrückt wurde. Kaum hatte sie dies bemerkt, so stand sie erschrocken auf, um sie wieder zu schließen; da schlang sich ihr ein weicher, warmer Gegenstand um Schulter und Hals. Sie stieß einen leisen Schrei aus; in ihrer Beklemmung war ihr, als habe ein männliches Wesen die Frechheit gehabt, sie zu umarmen, und schon wollte sie den Arm mit Entrüstung von sich stoßen, als dieser vermeintliche Arm begann ein leises Miau! auszustoßen. Die Hauskatze mit Namen »Schönlicht« war es, die sich zärtlich an das Mädchen schmiegte, von welchem sie manchen guten Bissen heimlicherweise erhalten, für den sie sich nun erkenntlich zeigen wollte. Freudig überrascht liebkoste sie das Tier, bei sich denkend: sie ist in diesem Hause die einzige, die mich liebt, die es ehrlich mit mir meint.
Das zärtliche Lecken des Kätzchens rührte heute wie nie das Herz der Armen, sie fühlte nun erst recht ihre Verlassenheit, sie fühlte, welch treue Gefährten die Götter den Menschen in den Tieren gegeben, und fand es nun weniger seltsam, daß die Ägypter ihre Tiere einbalsamierten. Da drangen durch das geöffnete Fenster von weither die Töne eines Liedes nach Hause kehrender Schnitter in ihr Zimmer; melancholisch, einförmig schwebte die Weise vorbei, wie klagender Windhauch im Schilf; Harfenklänge mischten sich darein. Brust und Haupt der Einsamen hoben sich unter dem Einfluß dieser erquickenden Töne; ihr Auge füllte sich mit stillem Glanze, und als es zufällig draußen am Himmel die hoheitblickenden Sternaugen auf sich gerichtet sah, da kam es über sie wie eine Art Begeisterung, wie eine selig schmerzliche Trunkenheit; ein, fast möchte man sagen, erhabenes Lächeln umspielte ihre schönen, kummerblassen Lippen.
»Nein, er liebt mich, er liebt mich; wie darf ich zweifeln,« rief es in ihr, »ich muß ausharren; nicht lange, so kehrt er zurück, mich zu befreien. Alle Pein will ich geduldig tragen, um seiner würdig zu heißen! Er liebt mich! Ich fühle es! Diese Töne, diese Sterne sagen es mir!«
Die Töne waren verklungen, aber die freudig gehobene Stimmung im Busen der Verlassenen war geblieben. Es wurde still, heiter in ihr; sie empfand sogar Lust darin, sich unglücklich zu fühlen; ihr ganzes Wesen, alles, was sie tat und dachte, schien vom Schmerz der Entsagung geadelt; sie schritt einigemal leicht und frei durch ihr kleines Zimmer wie eine Königin.
Doch diese Freude sollte nicht lange währen. Eben hatte sie sich gesetzt, den Kopf träumerisch an die Bettstelle schmiegend, ihren Geist um die ferne Gestalt des
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