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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walloth
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prügelt und dann großmütig die Börse zieht. So ward in der Villa immer viel geschimpft, geschlagen und geflennt und mit Silberklang getröstet.
    Nach diesem Rundgang verbrachte er seine Zeit in seinem behaglich eingerichteten Studierzimmer mit der Verwaltung seines Vermögens. Hier standen auch Bücher in schönen Schränken – zum Anschauen. Gelesen wurden sie nie. Oft aber setzte er sich ans Klavier und suchte mit seinen fetten, ringblitzenden Fingern allerlei seltsame Akkorde, in die er sich genießend versenkte. Später kam dann sein Klavierlehrer Hinrichs, mit dem er auf Du stand, da er ihn schon vom zwölften Lebensjahr an als Lehrer gehabt hatte. Sie komponirten eben gerade eine Operette, d. h. Weihals hatte eine Skizze gemacht, die dann der vorzügliche Kontrapunktist so stark ›bearbeitete‹, daß kein Stein auf dem andern blieb. Bei dieser Korrektur ward gelacht, gescherzt, gehänselt. Weihals liebte es, seinen Lehrer in die Waden zu kneifen und an den Knieen zu kitzeln; während dieser Albernheiten mußte der geplagte Musikus, beständig um Ruhe bittend, Walzermelodien erfinden und verrenkte Akkorde einrichten. Aber seltsam, dieser ungebildete, eigentlich dumme Weihals fand oft wirklich nette Melodien, die sogar eine gewisse Poesie atmeten, so daß Hinrichs oft zu ihm spottend sagte: »Ich hab an dir erst kennen gelernt, was die Musik für eine traurige Kunst ist; da Trottel wie du was darin leisten können, hab ich bereits ganz den Geschmack an ihr verloren.« Hinrichs durfte sich als langjähriger Hausfreund, Erzieher und unentbehrlicher Ratgeber, solche Bemerkungen erlauben.
    Heute gegen fünf Uhr saß Weihals in seinem von behaglicher Wärme durchfluteten Wintergarten unter Palmen. In diesem künstlichen Orient hatte er sich ein reizendes Plätzchen bereiten lassen. Ringsum schwoll zartes Grün, breite Blumendolden schwammen in dem milchig-weichen Licht, das vom Glasdach heruntersickerte; seine Gräser beschämten alle Gebilde der Menschenhand, goldne Bälle blickten aus dunkelgrüner Laubnacht. Vor dem rotsammtenen Divan prunkte ein in türkischem Geschmack gebautes, vergoldetes, niedriges Tischchen, auf dessen bunt eingelegter Platte eine ausgetrunkene silberne Kaffeetasse im Sonnenstrahl blitzte. Eine Wasserpfeife wölbte ihren Glasbauch am Fußboden und schickte eine braunrote Schlange bis zum Munde des Hausherrn, der ihrer gelben Bernsteinspitze duftend-kühle Zauberdämpfe entsog. In einen knisternd-seidenen Schlafrock gehüllt, den roten Fez auf dem früher lockigen, jetzt dünnbehaarten Schädel, las er die Zeitung.
    Das letzte Gold des Herbstabends sickerte durch die grünlichen Glastafeln des Dachs, tropfte wie ein flüssiges Feuer von Palmblatt zu Palmblatt und durchschimmerte violett die blauen Wirbelwölkchen, die der Bernsteinspitze der Pfeife entstiegen. Allmählich ward es düsterer; der Kommerzienrat erhob sich und ließ die von einer Säule herabschwebende, orientalisch-bunte Laterne aufblitzen. Gleich darauf knisterte der Kies des Fußbodens, seine schon ältliche Wirtschafterin tauchte hinter den Palmenwedeln auf und meldete: eine junge Dame wünsche den Herrn Kommerzienrat in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. Er fragte, wie die Dame ungefähr aussehe? Sie sei sehr dicht verschleiert, erklärte die Dienerin.
    »Laß sie eintreten,« entschied er sich, nach einigem Besinnen. Sie ging.
    Weihals tat noch ein paar erregte Züge, ließ den violetten Qualm aus den Lippen gleiten und legte die gelbe Bernsteinspitze samt der rotbraunen Wasserschlange bei Seite. Er lauschte mit vorgebeugtem Haupt, den Arm auf den Divan gestützt. Sollten sich seine Vermutungen so rasch bestätigen? Sein Herz begann heftiger zu schlagen, über seine bleichen Hängewangen flog eine leichte Röte. Horch! Jetzt knisterte ein ängstlicher Schritt auf dem Kies; jetzt blieb der Fuß zögernd stehen. Der Kommerzienrat erhob sich und bog die aussichtversperrenden Blätter zurück.
    »Was seh ich?« rief er mit etwas theatralischer Freude. »Sie? Frau Rechtsanwalt? Trete Sie doch näher.«
    Frau Meyer, wie immer in elegantem, diesmal ganz schwarzem Kleid, das ihre gelblich-weiße Gesichtsfarbe pikant hob, kam in kleinen, unsicheren Schritten auf ihn zu und stammelte ein paar Begrüßungsworte.
    »Ein seltener Besuch!« rief er und bot ihr einen roten Gartenstuhl. Sie hatte ihren Schleier zurückgeschlagen. Das verstörte Gesicht der Frau mit den geisterhaften verweinten Augen, ihr blendend vom

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