Walter Ulbricht (German Edition)
missachtet aber dennoch ungestraft die sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte.
Die DDR-Bürger gewannen 1990 durch den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes keinerlei substanzielle Rechte, vor allem keine Grundrechte, hinzu, die ihnen nicht bereits die DDR-Verfassung gegeben hatte. Doch sie verloren massenhaft kostbare Rechte:
– das Recht auf Arbeit (Art. 24),
– das Recht auf Bildung (Art. 25),
– das Recht auf Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft sowie auf unentgeltliche medizinische Versorgung, namentlich auf ärztliche Hilfe, Arzneimittel und andere medizinische Sachleistungen (Art. 35),
– die Rechte der Gewerkschaften und der Produktionsgenossenschaften (Art. 44 bis 46).
In der DDR-Verfassung wurden zur praktischen Gewährleistung aller Grundrechte entsprechende Festlegungen getroffen. Das GG hingegen überlässt es dem Einzelnen, ob und wie er von den für ihn verbrieften Grundrechten Gebrauch macht.
In Art. 96 der DDR-Verfassung war, wie im Art. 97 GG, die Unabhängigkeit der Richter verankert. Aber in der DDR-Verfassung war auch die Unabhängigkeit der Schöffen, die den Berufsrichtern in vollem Umfang gleichgestellt waren, sowie die der Mitglieder der Gesellschaftlichen Gerichte (Konflikt- und Schiedskommissionen) garantiert.
In Art. 99 Abs. 2 der DDR-Verfassung ist, wie auch in Art. 103 Abs. 2 GG, festgelegt, dass eine Tat nur dann strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht, wenn die Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung durch Gesetz unter Strafe gestellt war (Prinzip der Gesetzlichkeit bzw. der Gesetzmäßigkeit). Weiter heißt es: »Strafgesetze haben keine rückwirkende Kraft.« Dieses bedeutsame Rückwirkungsverbot fehlt im GG. 8
Abs. 4 dieses Art. 99 (Verf. DDR) bestimmte: »Die Rechte der Bürger dürfen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren nur insoweit eingeschränkt werden, als dies gesetzlich zulässig und unumgänglich ist.«
Art. 100 regelte die Voraussetzungen der Anordnung von Untersuchungshaft sowie die Befugnisse und Pflichten von Richtern in diesem Zusammenhang.
Art. 101 bestimmte in Abs.1: »Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden«, (ähnlich Art. 104 GG), und in Abs. 2 hieß es: »Ausnahmegerichte sind unstatthaft« (so auch Art. 101 GG).
Art. 102 lautete in Abs. 1: »Jeder Bürger hat das Recht, vor Gericht gehört zu werden«, und in Abs. 2: »Das Recht auf Verteidigung wird während des gesamten Strafverfahrens gewährleistet.« Das GG der BRD kennt keine gleichartige Bestimmung. Dort findet sich lediglich in Art. 103 Abs. 1 der schwache Satz: »Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.«
Zu diesen allgemein anerkannten und üblichen Regelungen für das Gebiet der Rechtspflege erscheinen keine besonderen Bemerkungen erforderlich. Indessen sind folgende Bestimmungen – vor allem im Gegensatz zu denen des GG – herauszustellen, weil sie den demokratischen Charakter der sozialistischen Rechtspflege deutlich zeigen:
Art. 91 enthält die außerordentlich wichtige, den politischen Charakter der DDR-Verfassung kennzeichnende Bestimmung: »Die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen sind unmittelbar geltendes Recht. 9 Verbrechen dieser Art unterliegen nicht der Verjährung.«
Die DDR-Verfassung vermied es, Nazi- und Kriegsverbrecher durch eine allgemeine, auch den gewöhnlichen Mord umschließende Bestimmung über die Verjährung der Bestrafung zu entziehen. Die entsprechenden Vorschriften des GG, die deren »Väter« nach der Niederschlagung des faschistischen Aggressorstaates ins GG aufnehmen mussten und an einer ungewöhnlichen Stelle, im Abschnitt »Der Bund und die Länder«, platzierten, lauten: »Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.« (Art. 25) Und an anderer Stelle heißt es: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.« 10 (Art. 26, Abs.1)
Die DDR-Verfassung von 1968 – die nicht nur deshalb als Ulbrichts Verfassung bezeichnet wird, weil er zu jener Zeit Staatsratsvorsitzender war – knüpfte gleichsam im Vorgriff an die
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