Warcraft - 2
wurde nicht gefasst, und wenn man sie doch einfing, wurden sie getötet, weil sie sich wehrten.«
Kelgar hielt seine Augen geschlossen.
Thrall respektierte, dass der andere Ork schweigen wollte. Enttäuschung erfüllte ihn. Kelgars Geschichte klang wahr, und wenn Thrall Beweise dafür wollte, brauchte er sich nur umzusehen. Was war nur Merkwürdiges geschehen? Wie konnte ein ganzes Volk so verändert werden, dass es geschlagen endete, schon bevor man seine Angehörigen fasste und in dieses Höllenloch einsperrte?
»Aber der Wille zum Kampf ist in dir noch stark, Thrall, auch wenn dein Name das Gegenteil vermuten ließe.« Seine Augen waren wieder geöffnet und schienen Thrall verbrennen zu wollen.
»Vielleicht blieb dir dies erspart, weil du bei Menschen aufgewachsen bist. Es gibt da draußen noch andere wie dich. Die Mauern sind so niedrig, dass du sie erklimmen kannst, wenn du das willst.«
»Ich will es«, sagte Thrall sofort. »Sag mir, wo ich andere wie mich finden kann.«
»Der einzige, über den ich hie und da höre, ist Grom Hellscream«, sagte Kelgar. »Er ist noch immer ungeschlagen. Sein Volk, der Warsong-Clan, kam aus dem Westen dieses Landes. Mehr kann ich dir nicht sagen. Grom hat Augen wie ich, dennoch widerstand sein Geist.« Kelgar senkte den Kopf. »Wenn ich nur auch so stark gewesen wäre.«
»Du kannst so stark sein«, sagte Thrall. »Komm mit mir, Kelgar.
Ich bin jung, ich kann dich leicht über die Mauer heben, wenn …«
Kelgar schüttelte den Kopf. »Es ist nicht die Stärke, die vergangen ist, Thrall. Ich könnte die Wachen in einem Atemzug töten. Jeder hier könnte das. Es ist der Wille . Ich möchte die Mauern nicht erklimmen, ich möchte hier bleiben. Ich kann es nicht erklären, und ich schäme mich, aber es ist so. Du musst für uns alle das Feuer und die Leidenschaft aufbringen.«
Thrall nickte zustimmend, obwohl er es nicht verstand. Wer wollte nicht frei sein? Wer wollte nicht kämpfen, um all das zu gewinnen, was verloren war, um die eigensüchtigen Menschen für das zu be-strafen, was sie den Orks angetan hatten? Aber trotzdem war es klar: Von allen seiner Art hier war er der Einzige, der die Rebellion noch wagen würde.
Er wollte bis zur Nacht warten. Kelgar hatte gesagt, es gäbe nur wenige Wachen, die sich zudem häufig bis zur völligen Besinnungs-losigkeit betranken. Wenn Thrall also weiterhin vorgab, wie die anderen zu sein, würde sich bald eine Gelegenheit ergeben.
In diesem Moment näherte sich ihnen ein weiblicher Ork. Sie bewegte sich zielgerichtet, was man nur selten hier sah, und Thrall erhob sich, als klar wurde, dass sie zu ihm wollte.
»Bist du der gerade erst gefangene Ork?«, fragte sie in der Menschensprache.
Thrall nickte. »Mein Name ist Thrall.«
»Dann, Thrall, solltest du besser wissen, dass der Kommandant der Lager dich hier sucht.«
»Wie ist sein Name?« Thrall spürte Taubheit in sich aufsteigen. Er befürchtete das Schlimmste.
»Ich weiß es nicht, aber er trägt die Farben Rot und Gold mit einem schwarzen Falken auf …«
»Blackmoore!«, zischte Thrall. »Ich hätte wissen müssen, dass er mich findet!«
Ein schepperndes Geräusch ertönte, und alle Orks drehten sich zum höchsten Turm hin. »Wir sollen uns aufstellen«, sagte die Frau,
»obwohl wir um diese Zeit sonst nie gezählt werden.«
»Sie wollen dich, Thrall«, sagte Kelgar. »Aber sie werden dich nicht finden. Du musst jetzt gehen. Die Wachen werden durch die Angst vor dem Kommandanten abgelenkt sein. Ich werde sie noch darüber hinaus etwas ablenken. Der Bereich am Ende des Lagers wird am schwächsten bewacht. Wir folgen alle dem Klang der Glocke wie das Vieh, das wir sind«, sagte er, und der Hass auf sich selbst war deutlich in seiner Stimme und seiner Mimik zu lesen.
»Geh jetzt.«
Thrall benötigte keine weitere Aufforderung. Er drehte sich um und bahnte sich seinen Weg durch die Orks, die in die entgegenge-setzte Richtung gingen. Als er sich mühsam an ihnen vorbeiquetsch-te, hörte er plötzlich einen schmerzerfüllten Schrei. Die Frau stieß ihn aus. Er wagte nicht, stehen zu bleiben und zurückzublicken, aber als er Kelgar brutal klingende Worte auf Orkisch brüllen hörte, verstand er. Kelgar war es wohl irgendwie gelungen, in seinem tiefsten Inneren einen Schatten seines alten Kampfgeists zu finden und zu mobilisieren. Er hatte begonnen gegen das Ork-Weib zu kämpfen. Die Reaktionen der Wachen ließen darauf schließen, dass das sehr ungewöhnlich war. Sie
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