Warm Bodies
ist zur Security gegangen. Es war beängstigend, wie schnell er sich verändert hat. Er hat gesagt, dass er das alles für mich täte, dass es Zeit für ihn wäre, erwachsen zu werden und sich der Realität zu stellen, dass er Verantwortung übernehmen müsste und das alles. Aber alles, was ich an ihm geliebt habe – alles, das ihn zu dem gemacht hat, was er war, das ihn ausgemacht hat –, ist einfach in Verwesung übergegangen. Im Grunde hat er aufgegeben. Sein Leben aufgegeben. Der wirkliche Tod war nur der nächste logische Schritt.« Sie schiebt das Essen beiseite. »Wir haben die ganze Zeit übers Sterben geredet. Er hat immer wieder davon angefangen. Wenn wir es getrieben haben, konnte er mittendrin aufhören und Dinge sagen wie: ›Julie, was glaubst du, wie hoch die durchschnittliche Lebenserwartung jetzt ist?‹ Oder: ›Julie, wenn ich sterbe, wirst du mir dann den Kopf abschneiden?‹ Schwer romantisch, was?«
Sie sieht aus dem Flugzeugfenster hinaus, zu den Bergen in der Ferne. »Ich habe versucht, ihn zum Schweigen zu bringen. Hab mich echt angestrengt, ihn hier zu halten, aber in den letzten paar Jahren hat es so ziemlich jeder begriffen. Er war einfach … weg. Ich weiß nicht, ob ihn irgendwas hätte zurückbringen können außer Christus’ und König Artus’ Wiederkehr zur Erlösung der Welt. Ich jedenfalls hab nicht gereicht.« Sie schaut mich an. »Wird er wiederkommen? Als einer von euch?«
Ich senke meinen Blick und erinnere mich an den rosarot-saftigen Geschmack seines Hirns. Ich schüttele den Kopf.
Eine Weile ist sie still. »Es ist nicht, dass ich nicht traurig wäre, dass er nicht mehr da ist. Das bin ich, das…« Ihre Stimme bebt ein bisschen. Sie hält inne und räuspert sich. »Das bin ich wirklich. Aber er hat es gewollt. Ich hab gewusst, dass er es wollte.« Eine Träne stiehlt sich aus ihrem Auge und sie wirkt überrascht. Sie wischt sie weg.
Ich stehe auf, nehme ihr Tablett, klappe es zusammen und werfe es in den Mülleimer.
Als ich mich wieder zu ihr setze, sind ihre Augen trocken, aber immer noch rot. Sie schnieft und lächelt schwach. »Ich red wohl einen Haufen Scheiß über Perry, aber ich bin auch nicht gerade froh und glücklich, weißt du? Ich bin auch ein Wrack, bloß … lebe ich noch. Ein Wrack im Entstehen.« Sie lacht ein schnelles, gebrochenes Lachen. »Es ist verrückt, ich rede nie mit jemandem darüber, aber du bist … du bist so ruhig , du sitzt einfach da und hörst zu. Es ist, als würde man mit Gott reden.« Ihr Lächeln wirkt fern, und einen Moment lang ist sie ganz woanders. Als sie wieder den Mund aufmacht, klingt ihre Stimme gedämpft, aber flach. Ihr Blick schweift durch die Kabine, sie betrachtet die Nieten an den Fenstern und die Warnschilder. »Als ich jünger war, habe ich Drogen genommen. Habe mit zwölf angefangen und so ziemlich alles ausprobiert. Ich trinke immer noch, und wenn sich die Gelegenheit ergibt, rauche ich Pot. Als ich dreizehn war, hatte ich sogar Sex für Geld mit einem Kerl. Nicht weil ich das Geld wollte – Geld war auch da schon nichts mehr wert. Ich hab’s gemacht, weil es entsetzlich war, und vielleicht weil ich geglaubt habe, dass ich es verdiene.« Sie schaut auf ihr Handgelenk, auf diese dünnen Narben, die wie ein grausiger Eintrittsstempel für ein Konzert aussehen. »All die beschissenen Dinge, die die Leute sich antun – es kann alles das Gleiche sein. Bloß ein Weg, deine eigene Stimme zu ersticken. Deine Erinnerungen abzutöten, ohne dich selbst zu töten dabei.«
Es ist jetzt lange still. Ihr Blick wandert über den Boden, meiner haftet an ihrem Gesicht, wartet, dass sie wieder nach Hause kommt. Sie holt tief Luft, sieht mich an und zuckt leicht mit den Schultern. »Zuck«, sagt sie kläglich und lächelt gequält.
Langsam stehe ich auf und gehe zum Plattenspieler hinüber. Ich ziehe eine meiner Lieblings-LPs aus dem Stapel, eine obskure Kompilation von Sinatra-Songs. Ich weiß nicht, warum ich gerade die so mag. Einmal habe ich drei Tage reglos davorgesessen und dem Vinyl beim Kreisen zugeschaut. Ich kenne die Rillen dieser Platte besser als die Rillen meiner Handflächen.
Musik, haben die Leute früher gesagt, sei der große Kommunikator; ob das auch für dieses posthumane, posthume Zeitalter gilt? Ich lege die Platte auf und bewege die Nadel, sobald sie sich dreht. Ich überspringe Takte, überspringe Songs, tanze durch die Spiralen, um die Worte zu finden, mit denen ich den Raum erfüllen will. Die
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