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Warum so scheu, MyLady

Warum so scheu, MyLady

Titel: Warum so scheu, MyLady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Elizabeth Cree
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Krawatte weggelassen. Unter dem flaschengrünen Gehrock stand das Hemd am Kragen offen. Wie ein dunkler Schatten auf Kinn und Wangen verriet, war ihm eine Rasur zu mühsam gewesen.
    Was hatte sie bewogen, ihm beim Ausziehen zu helfen? Eigentlich war sie nur in sein Zimmer gegangen, weil sie Jessica versprochen hatte, für ihn zu sorgen. Und nun verwirrte sie die Erinnerung an seine starken Muskeln, die sie berührt hatte, und an das zerzauste Haar über seiner Stirn immer noch. Sekundenlang hatte sie sogar das Bedürfnis empfunden, ihre Finger in seine dunklen Locken zu schlingen …
    Nun musterte er sie forschend. Offenbar erwartete er, sie würde etwas sagen. “Die … die Landschaft ist wundervoll”, stammelte sie.
    “Freut mich, dass sie dir gefällt – nachdem du sie während der ganzen Fahrt begutachtet hast. Warst du schon einmal in Kent?”
    “Nur ein einziges Mal.”
    “Soeben sind wir in die Zufahrt gebogen. Hinter der nächsten Kurve wirst du Ravensheed sehen.”
    Auf einer kleinen Anhöhe, hinter einem ausgedehnten leuchtend grünen Rasen erhob sich ein rotes Ziegelgebäude mit zwei symmetrischen Flügeln, das im sanften Licht der Nachmittagssonne friedlich und einladend wirkte. Dieser Anblick hätte Sarah unter normalen Umständen entzückt. Aber das Haus erschien ihr wie ein Gefängnis, und sie wurde von qualvollem Heimweh erfasst. Nervös fuhr sie mit der Zunge über ihre Lippen. “Sehr schön.”
    Devon hatte sie mit zusammengekniffenen Augen beobachtet. “Trotzdem widerstrebt es dir, Ravensheed zu betreten, nicht wahr?”
    War sie so leicht zu durchschauen? “Es kommt mir nur … so fremd vor. Sicher werde ich mich bald eingewöhnen.”
    “Hoffentlich.” In diesem Wort schwang ein seltsamer Unterton mit, und sie glaubte, Mitgefühl in seinen Augen zu lesen. Aber sein Blick wurde sofort wieder ausdruckslos. Wahrscheinlich hatte sie sich getäuscht.
    Wenig später hielt die Kutsche. Liza richtete sich auf und blinzelte verschlafen. Nachdem ein Lakai den Wagenschlag geöffnet hatte, stieg Devon über das Trittbrett hinab. Dann half er seiner Frau beim Aussteigen. “Komm, gehen wir ins Haus.”
    Als sie sich die Eingangsstufen hinaufführen ließ, schlug ihr Herz wie rasend. Ein Diener hielt das Portal auf, und sie betraten eine geräumige Halle. Aus einer der Türen eilte eine spindeldürre ältere Frau und runzelte verwundert die Stirn. “Mylord, Lady Jessica – ich habe Sie nicht erwartet …” Dann schaute sie Sarah etwas genauer an und erstarrte.
    “Sarah, das ist meine Haushälterin, Mrs. Humphries. Darf ich Ihnen meine Gemahlin vorstellen? Lady Huntington.”
    “Ihre … Gemahlin, Mylord?” Nur mühsam erholte sich die Haushälterin von ihrer Überraschung. “Wie geht es Ihnen, Mylady?”, fragte sie in kühlem Ton.
    “Danke, sehr gut”, erwiderte Sarah unbehaglich.
    “Vielleicht könnten Sie Lady Huntington das Schlafzimmer im Familienflügel zeigen, Mrs. Humphries”, bat Devon. “Nach der langen Reise ist sie zweifellos müde.”
    “Sehr wohl, Mylord. Bitte, hier entlang, Mylady.”
    “Wir sehen uns beim Dinner, Sarah.”
    “Ja, Devon.”
    Mrs. Humphries führte ihre neue Herrin durch eine lange Gemäldegalerie in einen kleinen Flur mit Türen zu beiden Seiten, öffnete eine davon, und Sarah folgte ihr in ein großes Schlafzimmer mit hellblauen Wänden. An einer Wand stand ein breites Bett mit einem Baldachin. “Da drüben liegt die Ankleidekammer”, erklärte die Haushälterin und zeigte auf eine andere Tür. “Ich schicke Ihnen ein Dienstmädchen, das Ihre Sachen auspacken wird. Vielleicht möchten Sie sich vor dem Dinner ausruhen. Seine Lordschaft speist normalerweise um sechs. Aber heute wird es sicher etwas später. Haben Sie noch einen Wunsch, Mylady?”
    “Nein, danke.” Nachdem Mrs. Humphries den Raum verlassen hatte, legte Sarah ihre Pelisse und den Hut ab, setzte sich auf eine Chaiselongue und betrachtete ihr neues Reich. Die hellblauen Wände, die weißen Vorhänge an den Fenstern und am Bett verliehen dem Zimmer eine freundliche Atmosphäre, aber es wirkte seltsam unpersönlich. Hier hatte Mary in den wenigen Wochen ihrer Ehe gewohnt. Bevor sie mit Nicholas durchgebrannt war …
    Sarah warf einen letzten Blick in den Spiegel und straffte die Schultern. Wovor fürchtete sie sich? Sie würde nur zu einem Dinner gehen, nicht zu einer Inquisition. Außerdem hatte sich Devon in den letzten beiden Tagen stets wie ein Gentleman verhalten.
    Mit Lizas Hilfe

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