Was dein Herz verspricht
Abwesenheit mußten sie auf sie aufpassen. David Endicott war fast ununterbrochen im Haus, und so gern Elizabeth ihn auch mochte, sie wünschte, er würde sich mehr um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Jetzt saß sie im Salon und dachte über Nicholas’ Rückkehr nach. Er war gestern abend spät nach Hause gekommen, unrasiert, in zerwühlter Kleidung und mit Alkoholfahne, das Gesicht verschlossen und finster. Er war ohne ein Wort nach oben gegangen und hatte sich in seinem Schlafzimmer eingeschlossen. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
»Du siehst müde aus, meine Liebe.« Tante Sophie wickelte ein neues Stück Schnur um das schmutzige Resteknäuel in ihrem Schoß. Sie saßen vor dem Feuer, und Elizabeth schaute immer wieder zur Treppe in der Hoffnung, Nicholas würde erscheinen. »Daß du dir Sorgen um Seine Lordschaft machst, wird nicht das geringste nützen.«
Elizabeth errötete. War sie wirklich so leicht zu durchschauen? »Ich habe nur... vielleicht bin ich etwas müde.« Das war eine Lüge. Sie war absolut nicht müde, aber das ewige Katz-und-Maus-Spiel des Grafen von Ravenworth war sie gründlich leid.
»Geh doch nach oben und leg dich etwas schlafen. Lord Tricklewood kommt morgen früh wieder. Hattest du nicht gesagt, er geht mit uns einkaufen?«
»Ja... doch.« David war der einzige, dem sie von Bascomb erzählt hatte. Er war natürlich entrüstet gewesen und hatte jeder möglichen Vorkehrung von Elias und Theo zugestimmt, die ihre Sicherheit erforderte. Daß er sich auch als Beschützer sah, hatte seinen Eifer noch verstärkt, und ebenso seine Entschlossenheit, ihre Hand zu gewinnen, aber Elizabeth war zu einer derart weitreichenden Entscheidung nicht bereit. Noch nicht. Erst wollte sie mit Nicholas reden.
Und erst sollte er ihr die Wahrheit über seine Gefühle sagen.
Am folgenden Nachmittag tauchte er auf. Mit einem höflichen, aber knappen Gruß befahl er, man solle ihm ein leichtes Mittagessen ins Arbeitszimmer bringen, und schloß sich ein.
Wenigstens hatte er sich rasiert, dachte sie bitter, und seine Kleidung war auch einigermaßen präsentabel, aber tiefe Furchen durchzogen seine Stirn, und die Erschöpfung prägte sein markantes Gesicht.
Sie starrte die geschlossene Tür an, und Schmerz machte sich in ihrer Brust breit. Tränen brannten in ihren Augen, sie blinzelte, um sie zu vertreiben. Sie weigerte sich, wegen Nicholas zu weinen. Sie hatte schon lange genug seinetwegen gelitten.
Eine Stunde lang ging Elizabeth nervös im Salon auf und ab und wartete, daß er wieder erschien, versuchte, genug Mut aufzubringen, um ihm entgegenzutreten. Als es schließlich vier Uhr schlug, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt, und vor lauter Arger hatte sie zwei rote Flecken auf den Wangen.
Mein Gott, er war ebenso verantwortlich wie sie für das, was geschehen war. Was immer er auch denken mochte, sie hätte verdient, daß er sie besser behandelte. Sie schlug kräftig mit der Hand an die Wand. Richtig oder falsch, sie hatte jetzt lange genug gewartet!
Sie raffte den schmalen Rock ihres grünen Musselinkleids und stürmte aus dem Salon in den Flur. Ihre Schritte klapperten laut den Gang entlang, so daß ihr Kommen schon lange zu hören war, bevor sie an der Arbeitszimmertür klopfte.
»Was ist?« Seine vertraute Stimme weckte heftiges Verlangen in ihr. Elizabeth antwortete nicht, sondern öffnete einfach die Tür und trat ein.
Nicholas hob mit einem Ruck den Kopf. »Elizabeth...«
»So ist es, Mylord. Ich bin überrascht, daß du dich noch an meinen Namen erinnerst, denn meine Gegenwart hier scheint dir ja in den letzten Tagen entfallen zu sein.«
Er stand auf, bewegte sich aber kein Stück weiter. »Ich hatte mir vorgenommen, mit dir zu reden, vielleicht später am Nachmittag -«
»Nein, Nicholas, nicht später. Jetzt. In diesem Moment.«
Ravenworth sagte nichts. In seinen Augen lag etwas Dunkles, Abweisendes wie Bedauern oder Niederlage. Der Anblick rührte sie irgendwie, doch ihre Entschlossenheit blieb. Sie konnte nicht nachgeben. Der Schmerz, nicht zu wissen, war einfach zu groß.
Sie reckte das Kinn. »Du warst drei Tage lang fort, ohne ein Wort. Nach dem... was geschehen ist... was glaubst du, wie ich mich fühle? Du kannst mich doch nicht einfach ignorieren oder so tun, als ob ich nicht existiere.«
»Das wollte ich nicht. Es ist nur...« Er verstummte, sah weg.
»Es ist nur was, Nicholas? Ich muß es wissen. Ich muß verstehen, was in deinem Kopf vor sich geht.«
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