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Was Die Liebe Naehrt

Was Die Liebe Naehrt

Titel: Was Die Liebe Naehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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sich. Mit all meinen Gliedern verspürte ich die volle Seligkeit seines Leibes nach der menschlichen Begierde meines Herzens.«
    Die mystische Erfahrung ist offensichtlich eine erotische Erfahrung. Doch wie die Verwandlung der Sexualität in Spiritualität geht oder wie die
     Sexualität mit der Spiritualität verbunden werden kann, darüber finden wir in der mystischen Literatur keine konkreten Anweisungen. Es wäre aber heute
     sicher eine wichtige Aufgabe der Spiritualität, konkrete Wege aufzuzeigen, wie die Sexualität von Gier und Triebhaftigkeit befreit und zu einem
     menschlichen Ausdruck von Liebe werden kann. Dieser Weg geht nicht über die Verneinung oder gar eine Verteufelung der Sexualität. Die Bedingung ist, dass
     wir die Sexualität als gute Gabe Gottes annehmen. Aber es ist auch realistisch, um die Brüchigkeit unserer Sexualität zu wissen. Dass Sexualität gelingt,
     ist nicht selbstverständlich. Es gibt gerade auf diesem Gebiet sehr viele Verletzungen, nicht nur den sexuellen Missbrauch in der Kindheit, der ja eine
     der tiefsten Verletzungen darstellt, die einem Menschen widerfahren können. Es gibt auch in der gelebten Sexualität zwischenMann und
     Frau in der Ehe oder in der Freundschaft immer wieder viele Verletzungen. Denn in der Sexualität komme ich dem anderen in einer Weise nahe, die alle
     Schranken überspringt. Wenn ich aber dem Menschen hart, gierig, süchtig oder triebhaft begegne und ihn nicht als Person respektiere, dann verletze ich
     ihn. So bräuchte es also eine Sexualität, in die ich meine ganze Liebe, meine Zärtlichkeit, meine Achtsamkeit und meine Ehrfurcht vor dem Geheimnis des
     anderen hineinlege. Und es bräuchte eine Erotik, die im Erleben menschlicher Nähe und Zärtlichkeit die erotische Nähe Gottes selbst erahnt und sich für
     Gottes unbegreifliche Liebe öffnet.
Das Geheimnis des anderen
    Alle Haltungen, die ich im Zusammenhang mit der Sexualität genannt habe, sind letztlich spirituelle Haltungen: Liebe ist das Ziel
     jeder Spiritualität. Über Achtsamkeit sprechen alle spirituellen Autoren, seien es christliche, buddhistische oder hinduistische. Ehrfurcht verbinden wir
     zunächst mit der Ehrfurcht vor Gott. Aber gerade in der Sexualität braucht es auch die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Menschen, den Respekt vor dem
     Geheimnis des anderen.
    Aphra Behn, eine Schriftstellerin aus dem 17. Jahrhundert, sagte einmal: »Liebe hört auf, Spaß zu machen, wenn sie aufhört, ein Geheimnis zu sein.«
     Wenn ich in der sexuellen Liebe das Geheimnis des anderen Menschen vergesse, wird sie zu einer Gymnastikübung verkommen.Nur wenn ich in
     der Hingabe an den anderen um sein Geheimnis weiß, wird wirkliche Hingabe gelingen. Um das Geheimnis des anderen zu wissen, ist letztlich Ausdruck einer
     tiefen Spiritualität. So verlangt die Sexualität schon von sich aus nach Spiritualität, damit sie auf Dauer Freude machen kann und nicht zum langweiligen
     Produzieren von sexuell erregten »Höhepunkten« wird. Die spirituelle Dimension der Sexualität besteht darin, dass ich in der Hingabe an den anderen immer
     darum weiß, dass es letztlich eine Hingabe an das Leben, an die Liebe schlechthin ist. Ich gebe mich diesem konkreten Menschen hin, ich werde eins mit
     ihm. Aber indem ich mit diesem Menschen eins werde, werde ich mit dem Grund allen Seins, mit dem Grund aller Liebe eins. Der jüdische Philosoph Walter
     Schubart hat das so ausgedrückt: »Jeder Liebesakt … ist ein Anlauf zur Vollkommenheit, ein Vorspiel der Wiederverschmelzung von Gott und Welt.« Gerade
     diese Offenheit der Sexualität für die mystische Dimension des Einswerdens mit Gott ist es, die dem sexuellen Akt die Aura des Geheimnisvollen
     verleiht. Und nur so bleibt er das Geheimnis, nach dem der Mensch immer wieder von neuem strebt. Wenn das Geheimnis wegfällt, läuft die Sexualität Gefahr,
     banal zu werden.
    Der jüdische Theologe Shmuley Boteach hat ein Buch über »koscheren Sex« geschrieben. Er meint damit etwas Ähnliches. Für ihn kommt es nicht auf den
     Orgasmus an, sondern auf eine Sexualität, die personale Nähe und emotionale Intimität bringt. Darin liegt für ihn eine spirituelle Qualität. Der Würde des
     Menschen entspricht letztlich nur eine Sexualität, die diese spirituelle Qualität hat. In ihrbegegnen sich die Menschen ganzheitlich,
     mit ihrem Leib und ihrer Seele, mit ihren Emotionen, mit ihrem Herzen, mit ihrer spirituellen Sehnsucht. Indem die Menschen sich so

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