Was die Nacht verheißt
Haar klebten feucht an seinem Hals.
»Der Sturm sieht nicht besonders schlimm aus, aber sicher können wir noch nicht sein. In diesem Teil der Welt kann man nie genau wissen, wann wieder mal ein Orkan zu erwarten ist.«
Marcus betrachtete die flachen grauen Wolken über ihnen, den dichten Regen, und bemerkte das hellere Grau an den Wolkenrändern. »Ich glaube nicht, dass das besonders wahrscheinlich ist, aber ich will kein Risiko eingehen. Mr. Hopkins hat den Befehl bekommen, die Segel etwas zu reffen. Wenn es schlimmer wird, holen wir das Hauptsegel ein.«
Hamish zog sich den Hut vom Kopf und strich sich mit der Hand durchs graue Haar. »Der Koch hat Euer Abendessen aufgehoben. Er sagte, Ihr hättet den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
»Ich hatte viel zu tun. Außerdem habe ich keinen Hunger. Aber eine Tasse Kaffee fände ich jetzt nicht schlecht.«
Hamish nickte. »Ich kümmere mich darum.« Er druckste ein wenig herum. »Ihr solltet besser für Euch sorgen, Käpt’n. Seit Ihr an Bord gekommen seid, habt Ihr abgenommen. Irgendetwas macht Euch Sorgen. Ihr habt nicht darüber geredet, aber ich habe so ein Gefühl, dass wir beide wissen, was das ist.«
Marcus hob eine Augenbraue. »Ach ja?«
»Wollt Ihr etwa sagen, dass es nicht das Mädchen ist?«
Marcus zuckte die Schultern. »Sie war etwas ganz Besonderes. Ich hatte sie sehr gern. Da ist es doch nur natürlich, wenn ich sie von Zeit zu Zeit vermisse.«
»Ja, das wird wohl so sein.« Hamish schaute zur Tür, ging aber immer noch nicht. »Fühlt sich doch gut an, wieder an Bord zu sein, oder?«
Marcus nickte, obwohl er nicht andeutungsweise so viel Euphorie empfunden hatte, wie er erwartet hatte. »Ja, sehr gut.«
»Und die Fahrt nach China. Seit Jahren schon wollt Ihr dorthin fahren. Sieht ganz so aus, als wäre es endlich so weit.«
»Ja.« Aber in letzter Zeit erschien ihm das gar nicht mehr so verlockend. »Es dürfte eine Gewinn bringende Fahrt werden.«
»Gewinn bringend ... Aye.« Aber Hamish hatte die Stirn gerunzelt. Vielleicht erinnerte er sich daran, dass es früher immer der Reiz der Ferne gewesen war und nicht das Geld, das Marcus verlockt hatte.
Marcus starrte aus den regennassen Fenstern des Steuerhauses hinaus. »Der Sturm nimmt zu.«
»Aye, sieht so aus.«
Hamish zögerte, so als wollte er noch etwas sagen. »Sieht aus, als würde er doch wilder werden, als wir dachten, und der verdammte Wind ist teuflisch kalt. Ich hol jetzt wohl besser den Kaffee.«
Marcus’ Blick folgte dem schwankenden Gang des älteren Mannes. Es war offensichtlich, dass sich sein langjähriger Freund Sorgen um ihn machte. Es war dumm von Hamish, sich um ihn zu sorgen. Er war nur ein wenig angespannt. Es war einfach eine Frage der Anpassung, bis er sich wieder an das Leben auf See gewöhnt hatte. Es würde alles so werden, wie er es geplant hatte. Er würde mit seinem Leben wieder glücklich werden und zufrieden wie zuvor.
Bei dem Gedanken legte sich eine gewisse Schwere auf seine Brust, und dieses Gefühl war ihm schon ein paarmal aufgefallen. Marcus zwang sich, nicht weiter darauf zu achten. Er fasste das Steuer fester, richtete seinen Blick auf die graue Linie des Horizonts und dachte an die Reise, die er vor sich hatte. Doch statt Vorfreude zu empfinden, stellte er fest, dass er die endlose Folge von Tagen zählte, die er vor sich hatte, bevor er wieder nach Hause segeln würde.
Brandy spazierte über einen der Dutzende von mondhellen Pfaden der Vauxhall Gardens, die eine Hand leicht auf Richards Arm gelegt. »Deine Eltern scheinen sich heute Abend ja gut zu amüsieren.«
»Mutter geht es in Vauxhall immer besonders gut. Sie findet es herrlich hier, unendlich romantisch.«
Brandy lächelte. Sie konnte das Orchester in der Ferne eine Romanze spielen hören. »Ja, ich glaube, da hat sie Recht.« Der Garten war dicht mit hohen Bäumen und grünen Blattpflanzen bewachsen und kreuz und quer von Kieswegen durchzo-gen. Es gab kleine Häuser mit Statuen und Gemälden und Tempel und Bögen und Pavillons. »Das Feuerwerk war wunderschön.«
»Freut mich, dass es dir gefallen hat.«
»Und die Musik - es ist wirklich fantastisch.«
Richard blieb stehen und drehte sie zu sich um. »Ja, es ist schön hier, aber du, Brianne, bist noch viel schöner.«
Brandy errötete ein wenig, denn sie hatte sich noch nicht an diesen neuen Richard gewöhnt, der ihr den Hof zu machen schien. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie das wirklich zulassen sollte.
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