Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
allgemein akzeptierte Standard bei der Produktion von Speichermedien in den USA zu Beginn der 80 er-Jahre. Dann erschienen die japanischen Speicherkomponenten auf dem Markt, deren Produzenten sich schon über ein einzelnes fehlerhaftes Teil aufregten, ein einzelnes Exemplar, nicht ein Prozent. Sie schickten einen Vizepräsidenten, um sich zu entschuldigen, wenn tatsächlich etwas nicht funktionierte. Man kann sich vorstellen, was die verantwortlichen Arbeiter und Angestellten zu hören bekamen. Beide Seiten des Ozeans hatten das gleiche Ideal, beide wussten, was »entspricht den Anforderungen« bedeutet. Aber die Japaner
verhielten
sich anders. Verhalten schafft Standards, keine Ideale. Und so schluckten die Japaner den amerikanischen Marktanteil wie Bären, die sich über ein paar Picknickkörbe hermachten.
Wir reden über moralische Vorstellungen und Ideale. Wir funktionieren entsprechend bestimmter Standards. Das gilt auch für den Krieg, in dem Grausamkeit oft nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert wird.
Die Antwort auf Gräuel durch gefallene Standards besteht darin, niemals ein Verhalten zu erlauben, das von den öffentlich deklarierten Idealen abweicht. Das heißt, es gilt, auch kleine Verfehlungen schnell zu bestrafen, und das mit Mitgefühl und Verständnis. Ein Krieg ist grausam. Die Menschen zerbrechen unter seinem Druck. Aber wir dulden keine Verfehlungen – und versuchen den Delinquenten dabei zu helfen, die im Hintergrund wirkenden komplexen Gefühle zu durchschauen. Sobald es zu einem Gewaltexzess kommt, muss er als solcher bezeichnet und verurteilt werden, lautstark, eindeutig. Über das Abschneiden der Ohren haben sich nur wenige aufgeregt, etliche Vorgesetzte haben es sogar gefördert, »um die Opferzahlen zu bestätigen«. Es war wie in meinen Kindertagen in Oregon, als wir Krähen schossen, ihnen die Füße abschnitten und sie im Department of Fish and Wildlife abgaben, wo wir fünfzehn Cent pro Paar bekamen.
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6 Lügen
Einer der wichtigsten Charaktertests besteht darin, ob jemand die Wahrheit sagt, obwohl es ihm wehtut. Der Vietnamkrieg ist berüchtigt dafür, wie jene, die ihn anzettelten, jene belogen, die in ihm kämpfen und für ihn bezahlen mussten. Das Lügen war deshalb so weitverbreitet, weil dieser Krieg ohne Sinn geführt wurde. Tod, Zerstörung und Schmerz müssen fortwährend gerechtfertigt werden, wenn mit dem Leiden keine es begründende Bedeutung verbunden ist. Das Fehlen eines Sinns führt zu Erfindungen und Lügen, um diese Lücke zu schließen.
Menschen lügen. Sie lügen im Geschäftsleben, in den Universitäten, in der Ehe und beim Militär. Dennoch wird das Lügen gewöhnlich nicht als normal, sondern als Ausnahme betrachtet. In Vietnam wurde das Lügen zur Norm, und ich trug meinen Teil dazu bei. Das Lügen wurde so sehr zu einem Teil des Systems, dass das
Nichtlügen
manchmal als unmoralisch erschien.
Tötungsvergleiche und Opferzahlen als Erfolgskontrolle waren das beste Beispiel dafür, wie »normal« das Abnormale wurde. Oder war es andersherum? Nehmen wir ein typisches Scharmützel, in das ein Trupp unter Führung von Lance Corporal Smithers bei einer alltäglichen Sicherheitspatrouille gerät. Plötzlich geht es drunter und drüber. Teenager werden getötet und verstümmelt. Artillerieanforderungen überschlagen sich, Lageberichte werden durchgegeben, Mörser nehmen den Feind unter Feuer, ein nervöser Zugführer, ein nervöser Kompaniechef, ein nervöser Bataillonskommandeur, S- 2 (Aufklärung), S- 3 (taktische Planung), alle wollen wissen, was genau da vorgeht. Gute Kommunikation ist eindeutig eine zweischneidige Sache. Und nachdem das Feuer eingestellt worden ist, wird die wichtigste Information verlangt, die einzige Rechtfertigung im Vietnamkrieg für all das Leid: Wie hoch sind die Verluste der Gegenseite? Smithers, gib uns das Ergebnis durch!
Der unter Adrenalin stehende Teenager und Truppführer muss das »Ergebnis« durchgeben, damit die Analysten, die Zeitungsschreiber und die Politiker daheim in Washington etwas zu tun haben. Wen interessiert schon, ob Smithers und sein Trupp womöglich einen sich entwickelnden Angriff auf die Kompanie gestoppt, zahllose Leben gerettet und die Kontrolle über das besetzte Stück Land gesichert haben. Sie und ihre Vorgesetzten werden allein nach der Opferquote beurteilt.
Smithers’ bester Freund ist bei dem Zwischenfall getötet worden, zwei andere haben Körperteile verloren und stehen wegen des hohen
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