Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Gefangene zu machen. [43] Die Marines waren es, die vor allem die sogenannten »Bananenkriege« in den 1920 ern und 30 ern ausfochten. Diese »Kriege« gehörten zu den ersten von den Vereinigten Staaten geführten Guerillakriegen, sieht man von den Indianerkriegen ab. Guerillakämpfer hatten mit dem Tod zu rechnen, wenn sie gefangen genommen wurden, da man sie wie Verräter oder Kriminelle behandelte, nicht wie Kriegsgefangene. Unter diesen Umständen geben sich die Männer weit weniger schnell geschlagen, was den Kampf für beide Seiten brutaler macht. Der Krieg im Pazifik gegen die Japaner war in dieser Hinsicht noch um eine Größenordnung schlimmer. Für die Japaner war es eine Schande, sich zu ergeben, für den Kaiser zu sterben galt dagegen als große Ehre für sie und ihre Familien. Und die Japaner gaben nicht nur nicht auf, sondern begingen oft sogar Selbstmord, um möglichst viele ihrer Gegner mit sich in den Tod zu reißen. [44] Dem Kapitulationssignal zu vertrauen, nur um anschließend von einer versteckten Granate getötet zu werden, führte bald schon dazu, dass diesen Signalen niemand mehr traute. Darüber hinaus war gut bekannt, dass derjenige, der sich umgekehrt den Japanern ergab, mit großer Wahrscheinlichkeit verhungerte oder durch deren Brutalität zu Tode kam. Anders war das, wenn man in deutsche Gefangenschaft geriet. Das war zwar ebenfalls kein Zuckerschlecken, barg aber weit höhere Überlebenschancen.
Die Kämpfe im Pazifik wurden brutaler. Neue Rekruten mussten darauf vorbereitet werden, und die Lehren aus den bisherigen Kämpfen flossen in die Ausbildung und Kultur ein. Zwar wäre es schwer gewesen, im Zweiten Weltkrieg oder in Vietnam einen Marine zu finden, der gesagt hätte, die Marines würden keine Gefangenen machen. Dennoch, damals in Vietnam, weit näher am Zweiten Weltkrieg, als wir es heute sind, hatte der Großteil der ältesten Offiziere und Unteroffiziere noch gegen die Japaner gekämpft, und der Verhaltenskodex für die Gefangennahme gegnerischer Soldaten lautete, zumindest in meiner Einheit: »Nicht so verdammt oft«.
Als ich im Land ankam, hörte ich Geschichten über frühere Operationen, die klarmachten, dass bei ihnen keine Gefangenen gemacht worden waren. So etwas klingt heute gefühllos. Ganz offensichtlich waren viele der gegnerischen Soldaten zwangsverpflichtet, wie auf unserer Seite ja auch. Ganz sicher wären die meisten von ihnen, so wie ich selbst, lieber zu Hause geblieben. Ich hatte persönlich nichts gegen diese Leute, tatsächlich bewunderte ich sie für ihre kämpferischen Fähigkeiten, und es muss heute sinnlos und unnötig grausam erscheinen, dass wir weiter auf sie schossen, als sie aufgeben und sich zurückziehen wollten.
Aber unser
Job
war es, möglichst viele von ihnen zu töten, ob sie sich nun zurückzogen oder nicht. Den Hügel einzunehmen war nur ein Teil der Zermürbungsstrategie, deren Erfolg sich an den Opferzahlen bemaß. Ohne Schonung zu kämpfen, das passte perfekt zum verheerenden, dummen Maßstab der Opferquoten, nach dem die Berufssoldaten in Vietnam beurteilt wurden. Ich erinnere mich noch gut, wie der frisch gestärkte Major uns frischgebackene Lieutenants zur laufenden Operation der Division briefte, an der wir teilnehmen würden. »Wir befinden uns in einem Zermürbungskrieg, Gentlemen«, sagte er. »Wir sind hier, um den Feind zu töten, und das in weit größerer Anzahl, als er uns tötet. Vergessen Sie das nie.«
Ich vergaß es nicht.
Wir wurden während des Krieges immer wieder mit dem einfachen Umstand konfrontiert, dass es ein Risiko mit sich brachte, Gegner gefangen zu nehmen. Man wird langsamer oder muss sich teilen, um Gefangene zu bewachen. Man riskiert die eigenen Hubschrauber und die Hubschrauberbesatzungen, um sie auszufliegen. Und sie können einen angreifen, wenn man schläft.
Ich wollte überleben. Ich wollte die mieseste Drecksau im Tal sein, und wenn ich das schon selbst nicht hinkriegte, wollte ich die mieseste Drecksau im Tal zumindest an meiner Seite wissen.
Keine Gefangenen zu machen, das lag in der Luft. Ich stellte mich darauf ein.
Rassismus und die angesprochene Pseudoartenbildung lagen ebenfalls in der Luft. Wenn du als Soldat im Zweiten Weltkrieg kämpftest und deine eigenen Großeltern Deutsche oder Italiener waren oder wenn Leute in deiner Einheit Deutsch oder Italienisch als Muttersprache hatten, war es weit schwieriger, auf den Gedanken zu verfallen, der Feind sei ein Tier, das es verdiene,
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