Was habe ich getan?
Marlham alles seinen gewohnten Gang ging. Das gleiche Gefühl hatte sie nach der großen Katastrophe in Hinblick auf Mountbriers gehabt. Sie hatte sich nur schwer ausmalen können, dass die Mühlen der Schule weitermahlen würden. Sie kam zu dem Schluss, dass die plötzliche Abwesenheit eines Menschen oder eine dramatische Veränderung der Situation einer Wunde nicht unähnlich war: Der Verlust mochte am Anfang schmerzhaft sein, würde aber schließlich heilen, sich wie verletzte Haut schließen und zuwachsen.
Auf dem Rückweg vom Wachturm machte Kate am Jambe de Bois Café Halt. Die baufällige Holzhütte war für das dort angebotene bunte Kunsthandwerk der Einheimischen bekannt, für gute kalte Drinks an heißen Tagen und das beste Abendessen, das man unter freiem Himmel verzehren konnte – so wurde jedenfalls behauptet.
Kate kaufte sich ein kaltes Bier, bevor sie sich auf dem winzigen Strand neben dem Anlegesteg niederließ. Sie genoss den herrlichen Tag und konnte spüren, wie sich das warme Glühen der Sonne auf ihrer zunehmend gebräunten Haut ausbreitete. Es fühlte sich wunderbar an.
Kate holte langsam und tief Luft, als wollte sie den Kopf freibekommen. Sie freute sich über dieses neue Gefühl von Frieden. Sie konnte tun, was immer sie wollte. Zum ersten Mal allein in ein fremdes Land zu reisen hatte etwas ziemlich Befreiendes. Es vermittelte ihr das Gefühl, abenteuerlustig, waghalsig und jung zu sein. Sie konnte sich die verblüffende Freiheit nur vorstellen, die ein ganzes Jahr Auszeit bot. In ihrer Jugend hatte es so etwas nicht gegeben, und sie konnte nur zum wiederholten Mal bedauern, zu früh geboren worden zu sein.
Ein kleines Mädchen in T-Shirt und Hose stapfte am Ufer entlang, verspritzte Wasser und hielt nur inne, um in den seichten Wellen zu planschen, die seine pummeligen Füße umspülten. Seine Haare waren zu gedrehten Knoten frisiert, jeder inmitten eines Vierecks – ein kunstvolles Design, das Kate faszinierte. Sie schätzte die Kleine, die hinreißend aussah, auf etwa vier Jahre. Ihre großen Augen, die von dichten, gebogenen Wimpern umrahmt wurden, beherrschten das herzförmige Gesicht. Ihr Grinsen war breit und ansteckend. Sie lief auf Kate zu und blieb vor ihr stehen.
»Hallo«, sagte Kate.
Das kleine Mädchen lächelte, antwortete aber nicht. Es streckte den Arm aus, während die Faust ein kleines Objekt fest umklammerte, und machte mit der anderen Hand ein Zeichen, dass Kate es ihr nachtun sollte. Kate streckte den Arm aus und öffnete gerade noch rechtzeitig die Hand unter der des Mädchens, um ein kostbares Geschenk entgegenzunehmen. Es handelte sich um eine etwa zwei Zentimeter lange Muschel. Ihr Ende rollte sich zu einem makellosen Punkt zusammen, der im Sonnenlicht hellrosa glänzte. Sie war perfekt.
Kate erinnerte sich, in Cornwall einmal eine ähnliche Muschel gefunden und sie Lydia geschenkt zu haben, als sie etwa im gleichen Alter wie die Kleine gewesen war.
»Sie hat die gleiche Farbe wie der Regenbogen, Mummy«, hatte ihre Tochter ausgerufen.
»Ja, das hat sie. Das liegt daran, dass es eine Zaubermuschel ist, Lyds.«
»Woraus ist sie gemacht?«
»Winzige rosa Muscheln werden aus den Fingernägeln von Meerjungfrauen hergestellt.«
Kate grub die Zehen in den Sand und hielt die kühle Bierflasche in den Händen. Sie konnte die Jubelrufe eines spontan organisierten Ballspiels auf dem angrenzenden Strand und das wiederholte Klatschen eines Balls gegen einen Schläger hören. Die Geräusche der unbekümmert kreischenden und lachenden Kinder ließen ihre Gedanken zu jenem Urlaub zurückwandern, als Dominic und -Lydia noch klein gewesen waren.
Sie waren für ein verlängertes Wochenende nach Padstow gefahren, und für Außenstehende hatte es wie ein idyllischer Sommerurlaub wirken müssen. Tagsüber wanderte die junge Familie durch die Felstümpel und fing in leuchtend bunten Eimern kleine Krebse, verschlang am Hafenkai Fish and Chips und aß jede zweite Mahlzeit im Freien. Wenn die Sonne unterging und die Temperatur sank, wurden die von ihren Abenteuern am Strand erschöpften Kinder in ihre kleinen Betten gebracht. Am Tag machten sie den Strand zu ihrem Spielplatz, lagen auf dem Sand, gruben Löcher und gingen wiederholt zum Wasser, um mit den unhandlichen Eimern eiskaltes Meerwasser zu holen, das sofort versickerte, sobald sie es ausgossen. Trotz der Aussichtslosigkeit, das Loch mit Wasser zu füllen, waren die Kinder stundenlang damit beschäftigt. Sie liefen auf
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