Was habe ich getan?
Bootsschuhen an den Füßen wirkte sie fast wie eine einheimische Jachtbesitzerin oder wie eine Jachtbesitzerin auf Besuch.
Natasha sah in dem türkisfarbenen Hemdkleid und mehreren Reihen Lapislazuli um Hals und Handgelenke fantastisch aus. Dezente Kleidung kam für sie nicht in Frage – Kate hatte das auch gar nicht erwartet.
»Es wird schon gut gehen, Kate. Was können die denn im schlimmsten Fall unternehmen? Uns aus der Stadt ekeln?«
Kate lächelte schwach und dachte, dass die Leute genau das tun konnten.
Das Pub Zum Hummertopf leuchtete vor dem Hintergrund der dunklen Natur und warf seine geheimnisvollen Strahlen über den asphaltierten Parkplatz und die Grasfläche dahinter. Es war der gleiche Lichtschein, der abenteuerlustige Teenager zum Pub lockte. Doch auf Kate Gavier wirkte es genauso bedrohlich wie das Admiral Benbow aus Stevensons Die Schatzinsel.
Die beiden Frauen traten durch die Tür und wurden von mindestens vierzig Augenpaaren und tiefem Schweigen begrüßt, das sich mit alarmierender Geschwindigkeit herabsenkte. Das Lokal war zum Bersten voll mit alten und jungen Gästen. Jeansbekleidete Hinterteile balancierten auf Barhockern und belegten die schäbigen Polster der Nischen. Frauen hockten auf den Knien ihrer Männer. Der Schweißgeruch und der Alkoholdunst der Menge hingen in der Luft. Die Fenster waren beschlagen, und das Lokal pulsierte dank der Vorfreude von vierzig erwartungsvollen Menschen, deren Zunge und Sinne vom einheimischen Ale geölt waren.
Kate zögerte einen Sekundenbruchteil lang und verweilte in der Tür. Fliehen oder kämpfen, das war die Frage, vor der sie stand. Eine laute Stimme riss sie aus ihrer Erstarrung.
»Ah, da ist sie ja, unser Ehrengast!«
Ein großer Mann Mitte fünfzig trat aus der Menge hervor, ein großzügig gefülltes Glas Whisky in der Hand. Die senfgelbe Kordhose, das karierte Hemd und die herabwallenden Haare ließen erkennen, dass es sich um den reichen Besitzer des Restaurants am Hafen handelte. In dieser Gegend war er so etwas wie eine Berühmtheit und an fast allen hiesigen Betrieben beteiligt, auch an diesem Pub. Seine schicke Jacht, die er immer neben den schäbigen Fischerbooten festmachte, vermittelte eine deutliche Botschaft.
Kate und Natasha hatten ihn mindestens zweimal aus der Ferne gesehen. Er war ein Mann, für den das Altern nicht nur ein Problem, sondern auch eine Beschäftigung darstellte. Sowohl das Bleichen der Zähne als auch das regelmäßige Färben des Haaransatzes, um die grauen Haare zu überdecken, waren dabei hilfreich. Doch es konnte wenig unternommen werden, um seine mit Altersflecken gesprenkelten Hände zu kaschieren, die Kate an dicke Schweinswürste erinnerten: fleischig, aufgedunsen und Monat für Monat unansehnlicher. Er kleidete sich, wie er es immer getan hatte, ungeachtet der Tatsache, dass sein Bauchumfang zunahm und auch der Hals immer dicker wurde, über dem sich der Hemdkragen spannte. Kate und Natasha hatten festgestellt, dass er vor zwanzig oder dreißig Jahren womöglich mit seinem Gutsherrenstil attraktiv gewesen sein könnte. Heute jedoch nicht mehr, er hatte seine besten Jahre eindeutig hinter sich. Sie hatten in dem Bewusstsein gekichert, dass sie selbst es niederschmetternd fänden, ähnlich eingeschätzt zu werden.
Er streckte seine fleischige Hand aus, und Kate schüttelte sie kräftig und bemerkte den schweren goldenen Siegelring an seinem kleinen Finger.
»Rodney Morris. Erfreut, Sie kennenzulernen.« Seine Stimme dröhnte durch den Raum und verriet die Zuversicht eines Mannes, der gehört werden wollte.
»Kathryn Br – Gavier, ich bin Kate Gavier.«
Verdammt! Sie wusste nicht, warum ihr das immer wieder herausrutschte. Fast jedes Mal, wenn ihre Nervosität übermächtig wurde, stellte sie sich mit ihrem Ehenamen vor. Jede aufregende Situation barg die Gefahr, sie in jenen Zustand der Angst zurückzuversetzen, der ihre Ehe dominiert hatte, und ihrem Gehirn vorzugaukeln, sie müsse wieder in die Rolle der Kathryn Brooker als gequälte Ehefrau schlüpfen.
»Nun, Kate, ich bin von den Männern sozusagen zum inoffiziellen Sprecher ernannt worden, um dem Ganzen zumindest den Anschein einer Ordnung zu geben.«
Kate war froh, dass Natasha, die rechts neben ihr stand, ihn nicht korrigierte und darauf hinwies, dass wohl auch die Frauen eine Rolle spielten, obwohl ihr das, wie Kate wusste, auf der Zunge liegen musste. Sie selbst kämpfte gegen den Drang an loszukichern, weil sie korrekterweise
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