Was habe ich getan?
frei, die mit winzigen Sommersprossen übersät war. Ihre Finger berührten kurz die vier Goldringe unterschiedlicher Größe, die von jedem Ohrläppchen hingen, dann zerrte sie die Ärmel ihres Pullis über ihre Hände. Sie zog die Knie bis zum Kinn hoch und rollte sich gemütlich in dem Ohrensessel zusammen, der vor dem Schreibtisch stand.
Kate mochte Stacey sehr, die sich nach einer brutalen Vergewaltigung ihren Weg zurück zur alten Stärke erkämpfte. Das Haus zur Aussicht bot ihr die nötige Atempause, um an einem Ort wieder auf Kurs zu kommen, an dem nicht in jeder Ecke Erinnerungen an den Übergriff lauerten.
»Wie geht es dir, Stacey?«
»Ganz gut, glaube ich. Ein bisschen besser.« Staceys Stimme war wie gewöhnlich gelassen.
»Gut. Ist es dir recht, mit mir zu reden, Stacey?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. An manchen Tagen war für sie selbst die einfachste Entscheidung zu schwierig.
»Ich habe darüber nachgedacht, nach Hause zu fahren.« Das berichtete sie mit abgewandtem Blick, als wäre es irgendwie treulos und unhöflich.
»Na, das ist ja gut. Nur du kannst entscheiden, wann du dazu bereit bist. Du kannst natürlich hierbleiben, solang du willst.«
»Ich weiß.« Stacey warf ihr kurz ein dankbares Lächeln zu.
»Manchmal ist es eine gute Idee, die Gedanken aufzuschreiben. Die Gründe, die dafür sprechen, noch ein bisschen zu bleiben, und warum du nach Hause willst. Das könnte dir die Entscheidung erleichtern.«
»Ich muss das nicht aufschreiben, Kate. Ich weiß, dass ich irgendwann zu meiner Mum zurückmuss, aber East Ham ist nicht sonderlich groß. Alle wissen Bescheid …«
»Stacey, du hast nichts Schlimmes getan. Du warst das Opfer, das darfst du niemals vergessen.«
»Ja, das weiß ich, aber das spielt eigentlich keine Rolle, wenn die Leute mit dem Finger auf mich zeigen. Es fühlt sich trotzdem richtig beschissen an.«
»Das kann ich mir vorstellen, Liebes. Das verlangt sehr viel Mut.« Kate steckte ihre Heuchelei in dem Wissen weg, dass sie selbst diesen Mut nicht aufbrachte. Sie würde nie zur Mountbriers Academy zurückkehren. »Und du hast jede Menge Unterstützung. Du hast deine Mum und deinen Bruder, und nach allem, was du mir erzählt hast, steht ihr euch, du und Nathan, sehr nahe.«
»Ja, das tun wir. Er ist wirklich toll. Wir waren viel auf uns allein gestellt, als wir klein waren, weil Mum immer gearbeitet hat. Nathan war in gewisser Weise meine Mum und hat auf mich aufgepasst und so. Aber seit mir das passiert ist, war es nicht mehr dasselbe. Mum weiß nicht, was sie sagen soll, um es mir leichter zu machen, deshalb meiden wir das Thema und tun beide so, als wäre alles in Ordnung. Und Nathans Leben hat sich nicht wirklich verändert. Er arbeitet immer noch in dem Pflegeheim, engagiert sich zu sehr für die alten Leutchen, um die er sich kümmert, und versucht, einen neuen Freund zu finden. Es ist nicht mehr so wie früher, als wir klein und immer zusammen waren, als er für mich alles besser machen konnte, bloß dadurch, dass er mich zum Lachen gebracht hat. Er ist immer noch mein allerbester Freund, aber die Situation hat sich verändert.«
»Was du durchgemacht hast, wird an seinen Gefühlen dir gegenüber nichts ändern, Stacey.«
»Ich weiß, und ich weiß auch, dass Nathan mich lieb hat, aber er ist beschäftigt. Er verarbeitet die schlimmen Sachen, indem er sich ablenkt. Keiner von uns ist besonders gut darin, über die wirklich wichtigen Dinge zu reden. Eine seiner alten Damen, die er wirklich geliebt hat, ist gestorben – Dorothea hat sie geheißen, glaube ich. Er war niedergeschlagen, aber das habe ich nur zufällig herausgefunden. Bei uns zu Hause kaschieren wir solche Sachen und tun so, als wäre alles in Ordnung. Es ist, als könnten wir nicht zurechtkommen, wenn wir nicht lachen. Das führt dazu, dass ich panische Angst kriege, wenn ich nur daran denke, dass ich zu Hause bin und lachen und Witze reißen muss, während ich innerlich völlig am Boden bin.«
Kate nickte, weil sie das nur allzu gut verstand.
»Ich weiß, dass deine Mum dich zurückhaben will, und das ist nur natürlich. Aber du bist diejenige, die entscheiden muss, wann die Zeit gekommen ist, nach Hause zu fahren. Es besteht keine Eile, Stacey.«
»Ja, vermutlich nicht.«
Staceys Mund bewegte sich, um Worte zu bilden, die laut auszusprechen ihr schwerfielen. Sie ging in sich, fand ihren Mut.
»Es geht aber nicht wirklich um meine Mum oder um Nathan. Es geht eher um Leute, die
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