Was ist koscher - Jüdischer Glaube
»Chutzpe« nennt, ein Wort, das sich auch im Deutschen eingebürgert hat und wohl nicht übersetzt werden muss. Die Frage, die sich zu diesem Ritual stellt, ist: Sagt der Sohn ein ganzes Jahr Kaddisch, also bis zum Tag des Gerichtsurteils, dem ersten wiederkeh-renden Todestag? Die Antwort, die sehr jüdische Antwort, ist: nein, natürlich nicht. Der Sohn sagt nur elf Monate Kaddisch.
Denn welcher Sohn glaubt von seinem Vater oder seiner Mut-ter schon, dass er oder sie so sündig waren, dass er sie ein ganzes Jahr lang »verteidigen« muss? Daher hört er bereits nach elf Monaten mit der Verteidigung auf. Mehr ist nicht nötig. GoĴ hat längst verstanden! Na, ist das Chutzpe?
Doch der Sohn wird zum Segen und Wohle der verstorbenen Seele jedes Jahr am Todestag, der so genannten Jahrzeit, das Kaddisch erneut sprechen, damit die Seele immer weiter aufsteigen kann in jener Welt, die wir nicht kennen.
Kehren wir zurück auf den Friedhof, denn wir sind ja erst am Ende des unmiĴ elbaren Begräbnisses angelangt. Die Trauer geht jetzt erst richtig los. Die Angehörigen fahren nach Hause, wo sie nun eine Woche »Schiwa« (wörtlich: sieben – für die Woche) sitzen. Man hockt auf kleinen Schemeln oder am Boden, trägt keine Schuhe und verlässt eine Woche lang nicht das Haus. Freunde und Bekannte aus der Gemeinde kümmern sich um die Trauernden. Sie bringen ihnen Essen und lassen sie keine Minute allein. Die Männer kommen zum gemeinschaĞ lichen Gebet dreimal täglich im Haus der Trauernden zusammen, anstaĴ in die Synagoge zu gehen. Der Sohn 52
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oder der nächste männliche Angehörige kann so während der Schiwa das Kaddisch sagen.
Nach sieben Tagen steht man von der Schiwa auf. Es folgen die Schloschim (wörtlich: dreißig), der erste Trauermonat.
Man geht allmählich wieder seiner geregelten Arbeit nach, als Sohn sagt man ab jetzt das Kaddisch in der Synagoge, man trägt wieder Schuhe und muss auch nicht mehr am Boden hocken. Man trägt allerdings immer noch das zerrissene Trauergewand, eine Jacke oder Weste, über der natürlich täglich frischen Kleidung.
Und dann sind die Schloschim vorbei. Die Männer dürfen sich wieder rasieren und die Haare schneiden, auch die Frauen dürfen wieder zum Friseur gehen, das Trauergewand wird ausgezogen, und in manchen Gemeinden wird nach dem ersten Trauermonat der Grabstein aufgestellt, zu dem man sich erneut auf dem Friedhof versammelt. Meistens geschieht dies jedoch erst nach einem Jahr. Man soll doch die Seele während des Gerichtsjahres nicht stören, darum soll man mit der Auf-stellung der Mazewah, des Grabsteins, warten, bis GoĴ sein Urteil gesprochen hat.
In den elf Monaten nach den Schloschim ist das Leben der Angehörigen zumindest vom religiösen Standpunkt her wieder »normal« bis auf wenige Ausnahmen. Man vermeidet in diesem Jahr jegliche Festivität oder Freudenfeier. Ist man beispielsweise zu einer Bar Mitzwah von Freunden eingeladen, dann nimmt man zwar am GoĴ esdienst teil, aber nicht an dem anschließenden Freudenfest. Ein Angehöriger, der die Absicht haĴ e, in diesem Jahr zu heiraten, muss seine Hochzeit verschieben, bis er kein Owel, kein Trauernder, mehr ist. Der zurückgebliebene Ehepartner ist übrigens nach den Schloschim kein Trauernder mehr, das sind dann nur noch die Kinder und andere nahe Verwandte. Die Thora will, dass 53
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der Mensch nicht allein bleibe. Und so soll der Witwer oder die Witwe so schnell wie möglich wieder heiraten können.
Und damit ist ein jüdisches Leben an sein Ende gelangt. War es ein erfülltes Leben? Wenn dieser Mensch nach der Thora gelebt hat, die Mitzwot erfüllt, die allgemeinen Werte der jü-
dischen Ethik, wie Gerechtigkeit, Mitgefühl, soziales Engagement und Liebe zu GoĴ und seinen Geschöpfen, in Ehren gehalten hat, wenn dieser Mensch auch noch jüdische Kinder hinterlassen hat, die nach dem Willen GoĴ es den jüdischen Glauben weiterleben, dann, so sagen die Weisen, dann war es ein erfülltes, ein sinnvolles, ein glückliches Leben.
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Ist die Synagoge die jüdische Kirche?
Wenn wir über das Christentum sprechen, verwenden wir häufi g als Synonym dafür den Begriff »Kirche«. »Die Kirche«
– das ist die gesamte Hierarchie der jeweiligen GemeinschaĞ .
Das gilt besonders für die katholische Kirche, die mit dem Papst und dem Vatikan ein
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