Was sich kusst das liebt sich
könnten wir uns auf einen Drink treffen?«
» Was, jetzt? Heute Abend?«
» Weißt du was? Du klingst irgendwie anders als früher«, bemerkte William, als könnte er hören, dass ihr vor Schreck richtig übel geworden war. » Weniger… atemlos. Darauf will ich dich schon eine ganze Weile ansprechen.«
» Also für mich klinge genau wie immer. Naja, man hört ja selten seine eigene Stimme, außer vielleicht auf dem Anrufbeantworter oder so…« Neve schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, um ihr Denkvermögen etwas anzkurbeln. » Entschuldige, wo waren wir gerade? Ach ja, du wolltest wissen, ob wir uns treffen können.« Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte halb neun. Drei Jahre lang hatte sie auf diesen Moment gewartet, und jetzt, da er ein paar Wochen früher als geplant eintrat, suchte sie krampfhaft nach einem triftigen Grund, um ihn noch etwas hinauszuschieben. Leider fiel ihr beim besten Willen keiner ein. » Naja, ich könnte so gegen zehn in der Stadt sein…«
William machte » Hmm«, wie immer, wenn er überlegte. » Das ist reichlich spät, nicht? Also, ich würde dich wirklich furchtbar gern sehen…« Genau das hatte Neve hören wollen. Unzählige Male hatte sie sich ausgemalt, dass er diese Worte sagen würde, doch nun riefen sie bei ihr eine solche Hysterie hervor, dass sie fürchtete, sich gleich auf ihren Schlafzimmerteppich übergeben zu müssen. » Aber das wird mir jetzt etwas zu knapp. Macht es dir etwas aus, wenn wir bis zu meiner endgültigen Rückkehr warten?«
Neve sackte erleichert in sich zusammen. Ihre Beine gaben nach, sodass sie an der Wand entlang zu Boden rutschte. » Tja, das ist wohl das Sinnvollste. Schade, ich hätte dich auch gern gesehen«, sagte sie, und in diesem Augenblick verabscheute sie sich mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, einschließlich Charlotte. » Telefonieren wir dann wie gehabt am Sonntag in einer Woche?«
» Ähm, das wird schwierig werden. Ich werde noch eine kleine Rundreise machen… ähm… mit jemandem aus LA … Quasi zum Abschied«, sagte William. » Ich freue mich schon riesig darauf. Wir starten in Kalifornien, wo sonst, und wir besichtigen John Steinbecks Haus in Salinas und natürlich auch die Henry Miller Memorial Library in Big Sur.«
Eine halbe Stunde später war William endlich am Ziel seiner Reise angelangt, nämlich in New England, wo er der Stadt Concord unbedingt einen Besuch abstatten wollte. » Stell dir vor, dort haben nicht nur Thoreau, Emerson und Hawthorne gelebt, sondern auch Louisa May Alcott!«
» Klingt toll.« Immerhin das war ehrlich gemeint. Neve gestattete sich eine kleine Fantasie, in der sie– irgendwann in ferner Zukunft, wenn Max bestenfalls ein guter Freund, schlimmstenfalls eine schmerzliche Erinnerung für sie sein würde– mit einer Straßenkarte in der Hand neben William im Auto sitzen und all diese Orte mit ihm besuchen würde. Sie würde allerdings auf einem Abstecher nach Amherst bestehen, damit sie Emily Dickinson ein paar Blümchen aufs Grab legen konnte. » Da werde ich ja ganz neidisch. Ich bin gespannt auf deinen Bericht. Rufst du mich von unterwegs mal an?«
» Wie gesagt, das dürfte schwierig werden. Ich werde viel Zeit im Auto verbringen und in irgendwelchen schmuddeligen Motels übernachten, und außerdem bin ich ja nicht allein unterwegs… Ich melde mich wieder, wenn ich in London bin«, sagte er rasch, und es klang irgendwie verdächtig– möglicherweise nur deshalb, weil Neve sich zum ersten Mal wünschte, dass er auch Geheimnisse und Makel hatte, denn dann müsste sie sich nicht ganz so schlecht fühlen. » Aber ich schreibe dir ganz viele Postkarten.«
» Das wäre schön.« Neve schluckte. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals. » Nun, dann sehen wir uns ja bald.«
» Sehr bald, und nächstes Mal bekommst du 24Stunden Vorlaufzeit.« William gluckste. Blieb nur zu hoffen, dass das ein Scherz war, denn sie brauchte mindestens zwei Wochen Vorlaufzeit, um sich geistig und körperlich vorzubereiten. » Ich hatte gerade mal 48Stunden, um mich für diesen Kurztrip in die Heimat zu rüsten. Ich hätte dich wirklich gern getroffen, aber es war alles ziemlich hektisch.«
» Schon gut.« Neve unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. » Ich war im Archiv ziemlich beschäftigt, und ich schrei…«
» Ja, ich weiß, wie sehr du dich für deine toten Schriftsteller ins Zeug legst. Ich wollte dich eigentlich noch etwas Wichtiges fragen, aber das kann auch warten, bis ich
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