Was sich kusst das liebt sich
und blickte lächelnd zu Rose hoch, dabei war er höchstens halb so alt wie sie. Wie es aussah, würde sie den Nachtbus nach Bayswater heute nicht allein besteigen.
» Ich habe dir nicht geraten, mit ihm Schluss zu machen, damit er sich dir gegenüber endlich anständig benimmt, sondern weil er ein fieses, mieses Ekel ist«, bemerkte Neve verärgert. Sie hätte sich längst ihren dritten Shake genehmigen sollen, aber sie hatte Yuri versprechen müssen, es möglichst spät zu tun, damit sie einigermaßen ausgeglichen war, wenn in den Pubs Sperrstunde war und die Party so richtig in Schwung kam.
» Du bist in letzter Zeit ja ein richtiger Sonnenschein, Neve«, ätzte Rose. » Das liegt nicht nur an diesen Shakes, sondern daran, dass du kein Fleisch mehr isst. Ich kenne keinen einzigen glücklichen Vegetarier.«
» Ich bin seit meinem fünfzehnten Lebensjahr Vegetarier«, wandte Philip gereizt ein, und schon waren sie mitten in ihrem allwöchentlichen Streitgespräch über die Vor- und Nachteile der fleischlosen Ernährung. Neve hatte das alles schon x-mal gehört: Hitler sei Vegetarier gewesen, und Philip könne es ja nicht besonders ernst meinen, schließlich habe er bei der Weihnachtsfeier im Archiv vor drei Jahren zwei Würstchen im Schlafrock gegessen.
Neve sah auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Sie sollte sich wohl ihr flüssiges Abendessen zu Gemüte führen, ehe sie ihre Kollegen mit den Köpfen zusammenstieß. Sie stützte sich an Philips Schulter ab und schickte sich an aufzustehen, da ging die Haustür auf, und Max kam herein.
Neve spürte, wie ein freudiges Zucken durch ihren Körper ging. Sie hatte Max seit zwei fast Wochen nicht gesehen. Er war braun gebrannt, was seinen zerzausten Haarschopf heller wirken ließ und seine Wangenkochen betonte, und er trug seine » Sonntagsjeans«, in denen seine langen Beine besonders gut zur Geltung kamen, dazu ein zerknittertes rot-blau kariertes Hemd. Er grinste, und seine Augen funkelten, bis er den Kopf hob und auf der Treppe Neve erspähte, die in gebückter Haltung, halb kauernd, halb stehend, zur Salzsäule erstarrt war.
Sie blinzelte, und in dieser Sekunde wurde aus seinem Grinsen ein Hohnlächeln. Erst da fiel ihr auf, dass er eine schlanke Blondine an der Hand hielt, an der einfach alles zart wirkte, von den sanften Bögen ihrer Augenbrauen über die perfekte Stupsnase bis hin zu ihrem dämlichen Kussmund. Jetzt stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um Max etwas ins Ohr zu flüstern, sodass Neve ihre perfekten Beine in den ultrakurzen Shorts bewundern konnte, und die spitzen kleinen Brüste, die sich deutlich unter dem weißen Feinripp-Unterhemd abzeichneten. Ihr Anblick machte Neve schmerzlich bewusst, dass sie noch so viele faulig schmeckende Shakes in sich hineinkippen konnte, sie würde sich niemals in eines dieser zierlichen, nymphenartigen Wesen verwandeln, die bei Männern das Bedürfnis weckten, sie auf Händen zu tragen und zu beschützen. Max legte der Tussi auch prompt einen Arm um die schmale Taille, damit sie nicht vom nächsten kräftigen Windstoß umgepustet wurde.
Dann sah er zu Neve und hob die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Das war auch nicht nötig; sein selbstgefälliges Lächeln reichte voll und ganz.
Rose und Philip waren nach wie vor in ihre Diskussion vertieft und hatten nicht bemerkt, dass Neves Welt stehen geblieben war. Sobald Max mit seiner Elfe in Celias Wohnung verschwunden war, löste sich Neves Starre, und sie flüchtete sich in die Sicherheit ihrer Wohnung.
Sie brach nicht in Tränen aus, was ein kleines Wunder war, aber sie hätte am liebsten losgeheult und nie wieder aufgehört. » Untersteh dich«, sagte sie sich streng. » Max kann sich verabreden, mit wem er will. Du hast kein Recht, eifersüchtig zu sein oder dich aufzuregen. Schließlich hast du dich von ihm getrennt, weil er nicht der Richtige für dich ist. William ist der Richtige.«
Doch es half alles nichts; ihre Unterlippe begann zu zittern, und schon lief ihr die erste Träne über die Wange. Neve wischte sie ungehalten weg. Höchste Zeit für ihren Shake. Kein Wunder, dass sie so emotional war.
Nachdem sie das braune Zeug hinuntergewürgt hatte, stellte sie fest, dass sie keine Zitronenspalten zur Hand hatte. Mist. Sie knallte die leere Flasche auf die Anrichte, griff nach einer Zitrone im Obstkorb und biss einfach hinein.
In diesem Moment wurde ihr bewusst, wie lächerlich ihr Leben geworden war. Sie stand hier in ihrer Küche und saugte an einer
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