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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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zweihundert Teilaspekte hin beobachten und diese Beobachtung unter Angabe von Datum, Uhrzeit und Beschreibung der Situation notieren sollte. Das sind pro Tag vier Kinder, macht achthundert Beobachtungen. Belustigt wurde unter den Lehrern hinter vorgehaltender Hand getuschelt, ob nun jeder auch eine eigene Sekretärin an die Hand bekommt, die diese Beobachtungen während des Schulvormittags gleich mitnotiert, oder ob sich jeder Lehrer ein Diktiergerät um den Hals hängen muss, in das er diese zahlreichen Beobachtungen fortwährend hineinmurmelt, um sie dann am Nachmittag und am Abend daheim abzutippen. In der Schule, an der ich zu der Zeit eingesetzt war, verständigte man sich schließlich darauf, Aspekte zusammenzufassen, Beobachtungen durch Ankreuzen von vorgegebenen Formulierungen festzuhalten und diese durch situative Beschreibungen zu ergänzen. Für viele Lehrer ist das dennoch eine Arbeit, die nur Zeit kostet: Sie kennen die Kinder, sie wissen, was diese brauchen — sie tätigen diese stundenlangen Arbeiten nur, um sie dem Schulrat beim Besuch vorlegen zu können, könnten diese Zeiten aber weit besser nutzen, für die Unterrichtsvorbereitung zum Beispiel.
    Auch beim Korrigieren von Schülerarbeiten darf kein Unterschied gemacht werden, etwa zwischen mehr oder weniger sinnvollen Korrekturen, also solchen Anmerkungen, die Kindern tatsächlich nutzen, mit denen sie arbeiten können, und anderen Korrekturen, die man nur der Vollständigkeit
halber tätigt. Oft wäre weniger mehr. Aber es muss alles korrigiert werden, der Lehrer soll möglichst auch noch unter jeden Hefteintrag ein oder zwei Sätze mit einer Rückmeldung an das Kind notieren. Kaum ein Kind schaut sich die Korrekturen tatsächlich an oder verbessert gar seine Werke daraufhin.
    Rechnet man täglich mit durchschnittlich fünf schriftlichen Arbeiten, also beispielsweise Hefteinträge oder Übungen auf Arbeitsblättern, in der Schule sowie etwa zwei Hausaufgaben pro Kind, kann man erahnen, wie viele Stunden ein Lehrer täglich an den Korrekturen für die etwa dreißig Schüler seiner Klasse sitzt. Geht man von dreißig Sekunden pro Werk aus — das genügt gerade einmal, um die Vollständigkeit zu prüfen, einen groben Blick darüberzuwerfen und sein Namenszeichen zu setzen —, wären das schon mehr als anderthalb Stunden am Tag. Die täglichen acht Stunden Arbeitszeit sind dann fast schon ausgefüllt, da man vormittags mindestens von halb acht bis halb zwei in der Schule ist, unterrichtet, Aufsicht hat, kopiert, Tafelbilder vorbereitet oder Ähnliches. Wenn der Lehrer bei den Arbeiten, die er mit nach Hause nimmt, aufmerksam die Rechtschreibung korrigiert oder Rechenwege prüft und entsprechende Bemerkungen dazu schreibt, darf man von einem weit höheren Zeitaufwand ausgehen.
    Und es geht weiter: Eine Probe zu erstellen, kostet gut zwei oder drei Stunden Zeit, zumindest, wenn man sich die Mühe macht, die Fragestellung sehr bewusst zu formulieren, Aufgabenarten variiert, Bilder einfügt und dieses dann auf dem Computer noch in eine ordentliche Form bringt. Für die Korrektur der Proben kann man in Mathematik in der vierten Klasse mindestens zwanzig Minuten pro Kind veranschlagen, Aufsätze zu korrigieren, dauert auch schon mal um die zwei Stunden pro Kind, da man für jedes Kind ja auch noch einen Absatz mit Anmerkungen, Hilfestellungen und Verbesserungsvorschlägen formuliert. Man muss ja nur einmal überschlagen, wie viel Zeit ein Lehrer allein für das Erstellen und Korrigieren aller Proben in der vierten Klassenstufe benötigt, wenn gut zwanzig Proben im Halbjahr geschrieben werden, dann kommt man automatisch ins Überlegen, ob diese Zeit nicht anders besser genutzt
werden könnte. Aber das Leistungsmessungs- und „Vor-Elternbeschwerden-Absicherungsnetz” wird immer enger und damit arbeitsintensiver, und es bleibt immer weniger Zeit für das Wesentliche: für das Kind und für das Arrangieren einer ansprechenden Lernumgebung.
    Schule als potemkinsches Dorf
    Ich als Lehrerin fühle mich durch die beschriebene Arbeitssituation dazu angehalten, Äußerlichkeiten mehr Wert beizumessen als dem, was unsichtbar oder im Feinen wirkt. Und oft fühle ich mich sogar dazu angehalten, nach außen etwas anderes darzustellen, als es der Realität im Inneren entspricht. Wichtig für die gute Beurteilung eines Lehrers

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