Wasser-Speier
überhaupt?« fragte Hiatus zerstreut.
Gary begriff, daß der Mann ihm niemals auf seiner Queste würde nützlich sein können, solange sie nicht wußten, mit welchem Pro b lem er zu kämpfen hatte. »Aber ja doch!«
Also nahm Hiatus auf einem freien Stuhl Platz und begann zu erzählen.
5
Hiatus
Ich war ein wildes, ungestümes Kind, und meine Zwillingsschwe s ter Lacuna hatte eine Vorliebe für Streiche. Gemeinsam trieben wir unsere arme Mutter fast in den Wahnsinn. Millie war zwar gar kein Gespenst mehr, zog diesen Titel aber der Bezeichnung »Zombie« vor. Natürlich war keiner von uns ein Zombie; aber Millie war die Ehefrau und wir die Kinder des Zombiemeisters. Deshalb verm u teten die Leute, wir müßten wenigstens ein bißchen Zombi e schleim in den Adern haben.
In Wirklichkeit aber war Millie eine der wunderschönsten Frauen Xanths – oder war es zumindest gewesen, bevor meine Schwester und ich ihr den letzten Nerv geraubt hatten. Wir stellten einen schweren Schlag für ihren gemächlichen, geregelten Lebensrhyt h mus dar. Wir brachten wirklich alles durcheinander.
Lacunas Talent bestand darin, überall gedruckte Schrift ersche i nen zu lassen, zum Beispiel auf Wänden oder Decken, ja, sogar auf bereits bestehender Druckschrift, wodurch sie den Text einer g e druckten Seite verändern konnte. Natürlich verblaßte Lacunas Druckschrift wieder, ohne irgendwelche Schäden anzurichten, sobald sie die Konzentration verlor; trotzdem konnte sie damit gelegentlich ganz schönes Unheil anrichten. Zum Beispiel, wenn sie auf dem Hintern eines dicken Mannes, der sich gerade nach einem schweren Stein bückte, in Gegenwart eines Zombies, der immer alles ganz wörtlich nahm, die Worte TRITT MICH e r scheinen ließ.
Mein eigenes Talent bestand darin, aus verschiedenen Oberfl ä chen alle möglichen Organe hervorwachsen zu lassen, beispiel s weise Augen, Ohren oder Nasen aus Fenstern, Baumstämmen oder Steinen. Ich habe nie so recht verstanden, warum manche Erwachsenen sich furchtbar aufregten, wenn eine meiner Nasen wuchs und kräftig nieste, während sie vorbeispazierten, oder wenn sich eins meiner Augen an der Zimmerdecke oder auf dem Fu ß boden bildete, um einer Dame in den Ausschnitt oder unter den Rock zu spähen und zu zwinkern. Das alles war doch nur ein ganz harmloser, lustiger Spaß. Aber irgendwie waren Lacuna und ich auf offiziellen Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Beerdigungen nicht allzu beliebt. Heute weiß ich zwar, warum – aber heute bin ich ja auch sehr viel erfahrener und verantwortungsbewußter als früher, da ich noch ein Kind war.
Ich weiß selbst nicht mehr so genau, was ich eigentlich an jenem besonderen Tag getan habe, der mir in diesem Zusammenhang gerade einfällt; aber im nachhinein bin ich mir sicher, daß meine Mutter durchaus im Recht gewesen sein mußte, als sie mich ke i fend aus dem Haus jagte und die Tür zuschlug. Ich war damals gerade elf oder zwölf Jahre alt, und ich glaubte, ganz Xanth sei mir jede Menge Unterhaltung schuldig. Maßlos empört wegen ihrer Überreaktion auf einen harmlosen Streich, beschloß ich, von zu Hause auszureißen. Also rief ich Doofus herbei, unseren Zombi e drachen, und bestieg ihn. Dann forderte ich ihn auf, so weit d a vonzugaloppieren, wie er nur konnte. Doofus war nicht besonders klug – das sind ohnehin nur wenige Zombies, weil ihre Schädel zum größten Teil mit widerlichem Schleim gefüllt sind – aber seine Beine und sein Rücken waren ziemlich kräftig, und so galoppierte er in die Richtung davon, in die er zufällig gerade blickte, was e i nem ungefähren Südostkurs entsprach. Mir war es gleich. Ich wol l te nur so weit fort wie möglich, damit man mich nie wiederfinden konnte.
Doch nach einer Weile wurde Doofus merklich langsamer. »Bist du etwa schon müde?« wollte ich wissen. Er schnaubte nur ein bißchen klammen Rauch. Mir fiel ein, daß man Doofus eing e schärft hatte, sich nicht allzu weit von Schloß Zombie zu entfe r nen; deshalb verlor er an der Grenze seines Reviers seine A n triebskraft. Diese Befehle konnte ich nicht übergehen; denn sie waren Doofus von meinem Vater persönlich erteilt worden, dem Zombiemeister, dem alle Zombies die höchste Treue schuldeten. Doofus gehorchte mir also nur so lange, wie meine Anweisungen nicht in Widerspruch zu jenen Befehlen standen, die ihm noch viel schärfer eingeprägt worden waren.
Schließlich blieb der Drache einfach stehen, und ich stieg en t täuscht ab. »Also gut, dann geh
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