Wassermanns Zorn (German Edition)
Wagens herum und hielt das Messer drohend in Franks Richtung.
«Keinen Scheiß mehr!», rief er.
Jetzt spürte Frank sein Herz doch schneller schlagen. Nicht aus Angst vor dem Mann, der bekifft oder angetrunken sein musste, so unsicher, wie er sich bewegte, sondern vor Wut. Wut war ganz schlecht. Frank konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie durch seine Wut ein Mensch ums Leben gekommen war, und das durfte nie wieder passieren.
Bleib ruhig, nicht aufregen, lass ihn das Portemonnaie nehmen, scheiß auf das bisschen Geld.
Es waren immerhin die Einnahmen eines ganzen Tages, und wenn der Blödmann sie mitnahm, hatte er heute umsonst gearbeitet. Durfte er es dem Stinker wirklich so leicht machen? Okay, er hatte ein beeindruckendes Messer, aber sein Gegner stand nicht gerade sicher auf den Beinen und konnte vielleicht gar nicht damit umgehen.
Lass es , rief eine Stimme in Franks Kopf. Und weil er spürte, wie das Herz hart in seinem Brustkorb wummerte, zog er sich noch weiter von seinem Wagen zurück, verschwand im Dunkel der Böschung und sah dabei zu, wie der Stinker die Geldbörse aus der Seitentasche und das Handy aus der Halterung in der Mittelkonsole nahm. Dann lief er in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
Frank blieb noch eine Weile im Dunkeln stehen.
Sein Herz beruhigte sich nur langsam. Er spürte, wie nah dran er gewesen war, in seine ganz eigene Hölle abzurutschen, und das machte ihm weit mehr Angst als der Überfall.
Vielleicht sollte er doch wieder seine Tabletten nehmen.
11
Es war stockdunkel in dem dichten Tunnel aus Laub- und Nadelbäumen, doch das störte ihn nicht. Hier kannte er jeden Stein, jeden Strauch und jede Wurzel. Diesen Weg konnte er, ohne zu stolpern, mit geschlossenen Augen gehen. Zwar lag es Jahre zurück, dass er tagtäglich hier entlanggegangen war, aber das alles hatte sich tief in sein Inneres eingebrannt, und es war, als sei er nie fort gewesen.
Irgendwo am Wasserrand stieg eine Ente auf. Das flappende Geräusch ihrer Flügel trug weit übers Wasser und schallte laut durch die Nacht.
Was hast du getan …? Sag, was du getan hast … na los, sag es schon … Hast du sie angefasst …?
Unwillig schüttelte er den Kopf und drehte sich um, suchte in der Dunkelheit nach der Quelle der Stimme, doch da war niemand. Natürlich nicht. Diese verhasste Stimme existierte nur in seinem Kopf, er verband sie mit diesem Weg. Er durfte sich davon nicht einschüchtern lassen. Nicht jetzt, wo er seinem Ziel so nahe war wie nie zuvor.
Was hast du getan …? Sag es mir, Junge …
«Nein!», schrie er in die Dunkelheit, als könne er die Stimme damit vertreiben.
Aber nicht Stimmbänder, Zunge und Lippen brachten diese Worte hervor, sondern alles, was ihn umgab. Der Geruch des Wassers nach Algen und Mineralien und Leben und Tod, dazwischen der schwere Duft feuchter Erde und würziger, vor Harz triefender Fichtenrinde. Seine Nase erinnerte sich an jedes Detail und koppelte es mit Bildern, Worten und Gefühlen. Alles war da. Deutlich und klar. Die Wucht der Eindrücke war archaisch und trieb ihm die Tränen der Wut in die Augen.
Allein Stiffler zu sehen. Der lebte sein Leben wie eh und je, tat, als sei nichts passiert, dabei hatte er seine Welt zerstört, hatte ihm alles genommen, was ihm lieb und teuer gewesen war. Dafür würde er zahlen! Der Anfang war gemacht, und es lief besser, als er es sich vorgestellt hatte. Der Kerl war so arrogant und dumm, dass er gar nicht bemerkte, wie schnell er auf den Schlund der Hölle zusteuerte.
O ja, Stiffler, du wirst leiden, so wie ich damals gelitten habe und heute noch leide. Diesmal entkommst du mir nicht.
Wegen Stiffler hatte er lange auf das hier verzichten müssen, auf seinen See, sein Reich. Wie ein Streuner war er durch die Welt gezogen, von einem Wasser zum anderen, von warmem zu kaltem, von sauberem zu schmutzigem, immer auf der Suche, und immer mit dem Wissen, dass es nur eine Heimat gab für ihn, einen Ort, an dem seine Sehnsucht befriedigt werden konnte.
Er näherte sich dem Ende des natürlichen Tunnels. Die schwarzen Umrisse des Hauses tauchten vor ihm auf. Es schwebte über dem Wasser, mächtig und kompakt wie eine Festung, gleichzeitig aber auch ätherisch und geisterhaft wie eine Fata Morgana. Schon immer war es ihm vorgekommen, als wäre es nicht von dieser Welt, und wenn er darin war, fühlte er sich von den stabilen Eichenholzbrettern beschützt.
Doch er betrat das Haus nicht sofort, sondern ging auf den
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