Wasserwelten
angleichen und behaupten und auf alle Argumente des Bizeps verzichten. Die natürlichen Schwierigkeiten desAnglers liegen darin, daß jede Situation neu ist; ein Hecht muß im See anders gedrillt werden als im Fluß, beim Fischen am Schilf gelten andere Bedingungen als beim Fischen hinter Gebüsch, und neu ist vor allem jedesmal das Temperament des jeweiligen Fisches. Eine elementare Forderung an den vollkommenen Angler ist also auch Phantasie. Besonders aber gilt in dieser leisen Kunst das Zugeständnis an den Fisch. Nicht Kraft, sondern Geschicklichkeit soll ihn besiegen. Nun, fast alle Forderungen, die sich dem Angler stellen, sind in gewisser Weise übertragbar auf andere Verhältnisse, und ich muß sagen, der alte Walton hat mich überzeugt. Und wenn man alles in allem nimmt, das innere und das äußere Inventar des vollkommenen Anglers – ich bin durchaus in der Lage, mir vorzustellen, daß einige Sorgen weniger die Welt beschäftigten, wenn es mehr vollkommene Angler gäbe. Zumindest meint das ein Angler.
1958
Der Mensch auf dem Meeresboden
Die Geschichte, die ich erzählen will, sollte angemessenerweise wortlos erzählt werden – allenfalls im blubbernden, knarrenden, sanft brummenden Dialekt der Fische. Die Geschichte nämlich spielt im Wasser, genauer: im schönen, großen Schweigen, das über dem Meeresgrundliegt, zwischen wallender Unterwasserfauna, lichtlosen Felsschründen, zwischen der ruckartig krabbelnden Meeresspinne und dem glotzäugigen Tintenfisch. Die natürliche Umgangssprache, die hier herrscht, ist Schweigen, und folglich müßte ein angemessener Bericht über diese Welt schweigend gegeben werden ... Da dies aber einstweilen mit Schwierigkeiten verbunden ist, bitte ich um Entschuldigung für den Rückfall in die Sprache. Doch vielleicht kann man heute auch schon ohne Bedenken über diese letzte Welt des Schweigens sprechen; denn so still, so einsam und verschont wie ehedem ist sie nicht mehr. Ja, es spricht sogar einiges dafür, daß die alte Ruhe des Meeresbodens nicht mehr lange bestehen wird.
Mit seinem Hang, immer neue Paradiese der Kurzweil zu entdecken, mußte der Mensch ihn eines Tages annektieren – und diese Annexion ist gerade jetzt in vollem Schwange. Ja, die große Unterwasser-Saison hat angefangen, eine feuchte Passion für den Meeresgrund hat eingesetzt: die neuen Nachbarn im Urlaubsparadies sind Meerbrassen und Muränen ...
Die neue Unterwasserleidenschaft treibt auch bereits seltsame Blüten: In Filmen und Wochenschauen haben wir gesehen, wie man in Florida Modenschauen unter Wasser veranstaltete; wir haben betroffen einem Spaghetti-Wettessen auf dem Meeresgrund zugeschaut; wir waren Zeugen einer Unterwasser-Cocktailparty und haben verwundert verfolgt, wie man in Neptuns eigener Residenz Delphine zuritt, Karten spielte, sich die Haare schneiden ließ oder sogar die Zähne plombieren ...
Viele Leute, so hat es den Anschein, tun heute, was die kleinköpfigen Reptilien der Vorzeit taten, als sie in die erdgeschichtliche und wohl auch existentielle Kreide gerieten: sie marschierten am Strand auf und gingen nach 50 Millionen Jahren trauriger Landerfahrung zurück ins Wasser, woher sie gekommen waren.
Sie binden den Schnorchel vor, schlüpfen in die Flossen und wedeln in flüssiger Zeitlupenanmut hinab zum fächelnden, gefräßigen, glotzäugigen Vetter ... In der Tat, verfolgt man das flossenreiche Treiben etwa an den Küsten des Mittelmeeres, so hat man gelegentlich den Eindruck, daß sich hier ein organisiertes Heimweh nach dem Mutter- Ozean kundtut, in dessen Wasser die Elemente Natrium, Kalium und Kalzium ja fast in den gleichen Proportionen vorkommen wie im Körper eines Steuerzahlers.
Ja, die Leidenschaft für den Meeresgrund ist allgemein: so etwas wie eine Demokratie unter Wasser kündigt sich an. Wer auf sich hält – oder halten zu müssen glaubt –, macht seine Aufwartung dem naßlockigen Neptun. Und nicht nur dies; schon haben auch die Bürger Neptuns ihre Literatur erhalten: Unterwasser-Leitfäden, Fibeln für Flossenfreunde, Anleitungen zur Unterwasserjagd. Bekennend und erbauend äußert man sich darin über das neue Hoheitsgebiet, erzählt, was man auf dem Meeresgrund zu tun und zu lassen hat: mit einer submarinen Weltanschauung wird das Glück eines Tages vollständig werden.
Nun, auch ich bin in dem feuchten Arkadien gewesen; auch ich fühlte in mir die Elemente Natrium, Kalium undKalzium nach dem Meerwasser verlangen. Ich wollte,
Weitere Kostenlose Bücher