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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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wo kein Untertan, so doch ein Bürger Neptuns werden, und so entdeckte ich eines Tages meine Leidenschaft für den Meeresgrund. Zu meinem Erstaunen wollte sie am gleichen Tag auch meine Frau entdeckt haben, und als Ehepaar mit dem Drang zum Meeresboden im Herzen beschlossen wir, uns auf das neue Elixier schulmäßig vorbereiten zu lassen. Wir fuhren ans Mittelmeer, und da wir beide schon etliche Kurse zur besseren Beherrschung des Lebens hinter uns hatten, meldeten wir uns auch diesmal ohne Zögern zu einem Kursus für Sporttaucher an, der uns für die neue Bürgerschaft zwischen Stachelrochen und Steingrundel präparieren sollte. Ungeduldig warfen wir uns auf das neue Metier.
    Meine Ungeduld war begründet: ich hatte gelesen, was William Beebe, der amerikanische Meeresforscher, über das Unterwasser-Panorama gesagt hatte: Jeder Mensch – so hatte er gesagt –, jeder Mensch sollte dafür sorgen, daß er vor seinem Lebensende irgendeinen Apparat bauen, leihen oder stehlen kann, der ihm erlaubt, einen Blick in diese neue Welt zu tun. Das war eine vielsagende Ermutigung, denn sie ließ viel erwarten. Doch meine Erwartung, all meine Ungeduld in Richtung auf den Meeresboden, wurde schon am ersten Tag gründlich gebremst, und zwar von keinem anderen als dem Tauchlehrer.
    Unser Tauchlehrer war Signor John Kwiatkowski, ein athletischer, schwermütiger Mann, der manchmal mit so viel träumerischer Verwunderung dastand, als hätten sie ihn gerade in Pompeji ausgegraben und gezwungen, einenBlick in diese Zeit zu tun. Signor Kwiatkowski, wohlgewachsen, ein Italiener, wie er nicht im Buche steht, bremste also mein Verlangen, gleich auf den Meeresgrund zu steigen, indem er feststellte: »Alles – du verstehn – muß haben seine Zeit. Beim Tauchen ist es wie bei der Meditation: man muß sein vorbereitet, du verstehn? Wir müssen uns vorbereiten auf das Geheimnis, wo wir finden unter Wasser. Alles Leben – du verstehn – kommt daher, wo wir hinwollen, aber erst später, nach der Vorbereitung. Als die Tiere an Land kamen vor langer Zeit, sie haben sich umgestellt von Existenz mit Kiemen auf Existenz mit Lunge. Wir müssen verfahren umgekehrt; bei den Tieren hat es auch gedauert längere Zeit. Also wird es auch bei uns dauern längere Zeit, du verstehn?«
    Ich verstand, wenngleich ich nicht wußte, worin die Vorbereitung auf den Meeresgrund bestehen sollte. Ein Schüler, ein Lernender überhaupt, muß ja früher oder später die Erfahrung machen, daß er nicht allein seine Lieblingsfracht laden darf – er muß auch Ballast übernehmen, viel Ballast. Und da ich mir bei einem früheren Kursus, »Die männliche Säuglingsschwester«, so viel Wissensballast erwarb, daß ich gleichsam wider Willen zum Amateurbiologen wurde, fügte ich mich auch diesmal der Notwendigkeit, Nebenkenntnisse zu erwerben. Meine Frau sagte zwar: »Die wollen uns hier biologisch verändern. Offenbar wollen sie uns zu Gespensterkrebsen machen, die ebenso auf der Erde wie im Wasser leben. Aber nicht mit mir, Fred. Sobald ich Kiemen spüre, klage ich auf Schadensersatz.«
    Doch diese Befürchtung erfüllte sich natürlich nicht. Vielmehr lag die Vorbereitung auf das Erlebnis der Unterwasserwelt in den Händen eines gewissen Signor Luigi Luagi, der unsern Kursus für Sporttaucher als Theoretiker betreute. Signor Luagi war ein fanatischer Anhänger des Unterwassersports, klein, schmächtig, stechäugig und in gewissem Sinne drahtig. Seine Vorträge waren prägnant, und die Art, in der er sprach, glich den Feuerstößen eines älteren MG-Modells. Bereits zwei Stunden nach unserer Einweisung bereitete er uns auf das große Erlebnis des Meeresbodens vor. Er sagte etwa: »Sisisisisi –«, und fuhr nach längerer Pause, mit triumphierend zurückgelegtem Kopf, fort: »– früher war für uns die Welt am Ufer des Meeres zu Ende.
    Wir begnügten uns mit 145 Millionen Quadratkilometern Festland und hatten wenig oder keine Möglichkeit, die 355 Millionen Quadratkilometer Wasser zu erforschen oder in Besitz zu nehmen. Das hat sich entscheidend geändert. Von Neugier oder aus Interesse getrieben, sind Männer in die Tiefe vorgedrungen, um unsere Kenntnisse von der Welt unter Wasser zu erweitern. Wir haben diese Welt in drei Stockwerke eingeteilt: das Parterre – es reicht vom Grund bis 1 000 Meter unter dem Wasserspiegel – nennen wir die bathypelagische Zone, darüber, von 1000 bis 200 Meter Tiefe, liegt die mesopelagische Zone, und von 200 Metern bis zur Oberfläche

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