Wasserwelten
Blicken älterer Kursusteilnehmer begannen wir die Ausrüstung zur Probe anzulegen. Mit Maske, Atemschlauch und Flossen nahmen wir Unterwassereleven ein so befremdliches Aussehen an, daß wir uns kaum wiedererkannten.
»Du siehst aus wie ein alter Sägebarsch«, sagte meine Frau zu mir, während ich in ihr eine dicklippige Meeräsche zu erkennen glaubte. Gleichwohl: die Klarscheiben der Masken richteten sich fast alle zur Küste, aufs Meer hinaus, und ich glaubte das Verlangen zu spüren, die gestaute Ungeduld der Schüler, endlich auf den Meeresgrund zu kommen. Dies Verlangen war so groß, daß wir bereits gereizt waren, und ich hätte für nichts garantiert, wenn nicht der Trompeter dagewesen wäre, der meiner Frau faszinierende Pfeilwürmer, Spinnen und Seegurken mitgebracht hatte.
Das allein versöhnte sie, dieser Vorschuß auf den Meeresgrund. Aber der Drang, der Reiz hielt sich hartnäckig, ja, wir hielten es kaum noch aus, als der tauchende Trompeter meiner Frau sein Unterwasser-Tagebuch zur Einsicht anvertraute. Als ich hörte, was dieser Trompeter alles erlebt und empfunden hatte, beschloß ich sogleich, auch ein Tagebuch zu führen.
So notierte Bosco beispielsweise: »Heute zum ersten Male unten. Das Gefühl, unter dem Meer zu sein, ist merkwürdig. Man kommt sich so frei vor, wie ein freier Mensch mit Flügeln. Man ist der sturen Formel der Erdanziehung entronnen. Ein Raum ist durchaus da, ist fühlbar. Eine Spannung und ein unbekanntes Vibrieren erfüllen den Körper. Der Atemschlauch wird das einzige Bindeglied mit der oberen Welt. Man schwebt. Der Körper wird ledig. Ich glaubte, die Trompete von Henry James zu hören ... «
Doch wir waren noch nicht so fortgeschritten wieder Trompeter Bosco. Wir verharrten bei Trockenschulung und Trockentraining und konnten nichts daran ändern, daß unsere Erwartung bis zum Unerträglichen gestaut wurde. Vor dem Originalerlebnis stand die Kenntnis weitläufiger Tauchmethoden – ein Umstand, der mich dahin brachte, die Biographie unseres Lehrers zu ergründen. Nein, er war kein Deutscher; Signor John Kwiatkowski war ein Amerikaner polnischer Abstammung – auf dem Sprung, die italienische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Er hatte das Pensum des Kursus entworfen, und wenn auch nicht allein, so doch in Gemeinschaft mit dem fanatischen Unterwassersportler Signor Luigi Luagi. Dieser Luagi hielt es seinerseits für unentbehrlich, uns, bevor wir die schöne Andersartigkeit des Meeresbodens entdecken durften, sogar in die Geschichte der Nackttaucherei einzuweihen. So belehrte er uns beispielsweise folgendermaßen:
»Alles hat seine Geschichte, Damen und Herren, auch die Taucherei. Bereits vor zweieinhalbtausend Jahren berichtet Herodot von dem Taucher Scyllis, der vom Perserkönig Xerxes geheuert wurde, um Wertgegenstände aus gesunkenen Schiffen heraufzuholen. Ferner berichtet Aristoteles von Schwammtauchern, und Thukydides erzählt, wie es den Griechen gelang, die Verteidigungsanlagen von Syrakus im 3. Jahrhundert v. Chr. mit Hilfe von Tauchern zu zerstören.
Früh hat es bereits eine straff organisierte Taucherzunft auf Rhodos gegeben, und einer unserer Kollegen, der böotische Fischer Glaukos, war so erfolgreich, einegewisse Unsterblichkeit zu erlangen. Viele Beispiele lassen sich finden und zitieren, sisisi – so etwa die Speerfischerei unter Wasser, die von den Südseeinsulanern seit vielen Jahrhunderten betrieben wird. Die Geschichte der Taucherei ist alt. Jung dagegen ist die sportliche Taucherei, wie wir sie betreiben oder, sagen wir, betreiben wollen. Sie begann vor dem Zweiten Weltkrieg. In der Welt gelten als Begründer des modernen Tauchsports die Japaner. In Europa halten wir die Entwicklung dieser Disziplin den Franzosen zugute.
Vier Namen sind es besonders, die wir uns merken sollten, bevor wir auf den Meeresgrund schwimmen: Louis de Corlieu – er entwickelte adorable Schwimmflossen –, sodann: Jacques-Yves Cousteau, Frédéric Dumas und Philippe Taillez. Mit selbsterdachten Flossen, Tauchbrillen und Atemrohren, mit hausgemachten Unterwassergewehren experimentierten sie in der Gegend von Marseille. Alle Herren waren von beträchtlicher Erfindungsgabe. Was wir heute genießen, haben sie unter Entbehrungen erprobt.«
Genossen wir es? Wir sammelten Kenntnisse, leicht eingängige Kenntnisse über die Geologie des Meeresbodens, über Tauchausrüstung und Tauchergeschichte, und selbstverständlich verhehlte man uns nicht die Gefahren, die auf jeden
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