Watermind
Anglo -Behörden zu gewinnen, hatte er durchblicken lassen, dass das Kolloid vielleicht doch nicht völlig bewegungslos war. Seine Leute wussten nicht genug über die Eigenschaften der Substanz, um eine Gefährdung der Öffentlichkeit restlos auszuschließen, so hatte er es formuliert.
Mit finsterer Miene warf er den Plastikbecher über Bord, wo er vom gekräuselten Wasser verschlungen wurde. Grün, braun, rostrot und pissgelb wogte die Flüssigkeit in Milliarden flüchtigen Wellenkämmen und -tälern. Er ließ sich von der Bewegung einlullen. Die Luft wurde dunstiger. Es wäre einfach, sich die Sache von den Behörden abnehmen zu lassen. Jede Verantwortung abstreiten. Später vor Gericht kämpfen. Schließlich die unvermeidliche Liquidation von Quimicron, damit er seine Rechnungen bezahlen und alles hinter sich lassen konnte. In seiner Müdigkeit kam ihm diese Idee verlockend vor.
Welche Ironie, wie sehr er von handfesten Dingen besessen war. Schiffe, Gebäude, Pipelines. Geldscheine aus Papier in einem Banktresor. Reale Dinge. Obwohl im Grunde nichts real war. Je fester er sich an sein Vermögen klammerte, desto schneller rann ihm der tatsächliche Wert durch die Finger. Jede feste Oberfläche war eine Illusion, eine optische und haptische Täuschung, hervorgerufen durch elektrisch geladene Teilchen, die das Vakuum überspielten.
Er reckte den Hals, um den Himmel zu sehen. Das Wasserflugzeug würde aus südlicher Richtung eintreffen.
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Donnerstag, 17. März, 11.28 Uhr
Schiffssirenen hallten über das Wasser, und CJ richtete sich im Cockpit ihres Boots auf. Alle möglichen Schiffstypen kamen auf sie zu. Ihre Maschinen produzierten Energie und Lärm, und es fiel ihr schwer, das Kolloidfeld zu verfolgen. Ein zweiter Tender der Küstenwache kämpfte sich durch den Verkehr, und ein Offizier an Bord brüllte etwas durch ein Megaphon, doch der Wind verzerrte seine Worte. Sie duckte sich unter die Bordwand. Kamen sie, um sie zu verhaften?
Doch dann löste sich der Megaphonlärm schließlich in verständliche Worte auf. Der Mann versuchte den Verkehr umzuleiten, um einen längeren Streifen auf dem Fluss zu räumen. CJ runzelte die Stirn. Die Maschinen würden ihre Musiklektion stören. Was zum Teufel hatten diese Leute eigentlich vor?
Als wollte es ihre Frage beantworten, kreiste ein Wasserflugzeug tief am milchigen Himmel und ging offenbar zum Landeanflug über. Sie wusste gar nicht, dass Flugzeuge auf dem Mississippi landen durften. Es musste einem hohen Tier gehören, dachte sie. Dann machte es Klick in ihrem Kopf. Roman Sacony.
Im nächsten Moment hörte sie seine Stimme. Wenn man vom Teufel sprach … Roman stand genau über ihr auf dem Deck der Chasseur und telefonierte. Sie zuckte zusammen und blickte auf, doch er lehnte sich nicht über die Reling, so dass er sie nicht sehen konnte.
Während Roman zusah, wie sich das Frachtflugzeug mit den Schwimmern der unbeständigen Wasseroberfläche näherte, überschlugen sich seine Gedanken in wilderen Loopings als die einer Kunstfliegerstaffel. Nichts fühlte sich mehr fest an. Nicht einmal das Deck unter seinen Füßen.
Er hatte die klobige Fairchild-Frachtmaschine von einer Gesellschaft aus Florida gechartert, und die Leute hatten behauptet, dass der Pilot jahrelange Erfahrung mit Landungen auf unruhigen Gewässern hatte. Doch der Mississippi war nicht irgendein unruhiges Gewässer. Sein gewaltiges Volumen schob sich mit der Geschwindigkeit einer Lokomotive flussabwärts. Wenn die Schwimmer des Flugzeugs im falschen Winkel aufsetzten, würde die mächtige Strömung des Flusses es wie ein Stück Abfall herumwirbeln.
Die Luftfeuchtigkeit hatte Romans Hemd durchnässt, und es ging keine Brise, die den Essiggestank des Flusses vertrieben hätte. Er richtete sein Fernglas auf die Fußgänger, die sich am Ufer versammelten, um die Landung des Wasserflugzeugs zu beobachten. Büroangestellte, Verkaufspersonal, Schulkinder. Der Dunst in der Luft ließ ihre Gesichter verschwimmen. »Tretet vom Wasser zurück«, knurrte er. Eine Ader auf seiner Stirn pulsierte.
Er kannte die genauen Bevölkerungszahlen von East und West Baton Rouge, aber solange sich die Leute vom Fluss fernhielten, konnte die Kühlflüssigkeit ihnen nicht schaden. Was ihm Sorgen machte, was ihm nervenzermürbende Angst bereitete, war die zunehmende Liste der beschädigten Schiffe und Boote. Das Kolloid hatte einen Mordsappetit auf Eisen, Stahl und Schiffsfracht jeglicher Zusammensetzung entwickelt.
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