Watermind
KEINE biologischen Begriffe! Das Kolloid ist KEINE Lebensform!«
Auch Ceegie hob die Stimme. »Vielleicht brauchen wir eine neue Definition des Lebens.«
Ihr Streit machte Max ganz nervös. Als ihre Lautstärke eskalierte, warf er heimlich einen weiteren Blick auf den Bildschirm. Die Mikrochipketten sahen aus wie geflochtene Seile aus glitzernder Milch. Feuchtigkeit trübte das Glas, so dass er seine paryaka aufknotete, um die Tropfen abzuwischen.
Mr. Sacony senkte die Stimme, als er wissenschaftlich sprach. Er sagte, das Kolloid hätte kein Zentrum, keine organisierte Hierarchie. Es konnte nicht leben. Er sagte, die inneren Strukturen würden ständig auseinandergewirbelt, um sich dann wieder neu zusammenzufügen. Und als er von Wärmeenergie sprach, wurde seine Stimme hässlich. Max entschied, dass es Saconys Stimme war, die er nicht ausstehen konnte. Sie war zu dünn. Dem Mann mangelte es an Timbre.
»Was passiert mit der Wärme? Das ist die große Frage. Wie bildet es Eis? Warum bleibt es kalt? So viel Energie kann nicht einfach verschwinden.« Saconys Finger trommelten wie ein Maschinengewehr. Das Rattern ließ Max zusammenzucken.
»Ich weiß es nicht.« Ceegie klang sauer und erschöpft. »Letzte Nacht ist die Flüssigkeit in der Absperrung nicht gefroren.«
Sacony schnaubte durch die Nase. »Sie hätten gar nicht dort sein sollen.«
Max nickte zustimmend, aber Ceegie bemerkte es gar nicht. Ihm wurde klar, dass sie ihn überhaupt nicht mehr wahrnahm. Seine Gestalt war mit dem Beton verschmolzen, wie es manche dieser Eidechsen taten, die ihre Farbe verändern konnten.
»Die eigentliche Frage ist, wofür es die Energie braucht«, sagte sie.
»Es ist verschmutztes Wasser«, blaffte der Chef. »Es braucht nichts.«
»Sie wollen es nur irgendwie loswerden.« Ceegie biss sich einen Fingernagel ab, und Max hörte ihrem Atem an, wie sehr sie unter Stress stand. Er hätte ihr gern die Schultern massiert. Sie musste etwas essen. Sie geriet in einen gefährlichen Zustand der Übererregung, und der Chef versuchte nicht mal, sie zu beruhigen. Dann erkannte Max, dass Roman Sacony Ceegie gar nicht wirklich hörte. Er konnte nur die Fakten aufnehmen, die sie von sich gab.
Plötzlich schwappte eine Welle auf den Kai, und alle drei drehten sich um und betrachteten das Wasser. Im Flutlicht der Quecksilberdampflampen lag eine tintenschwarze Oberfläche, die von unsichtbaren Kräften bewegt wurde. Max griff nach Ceegies Hand und zog sie vom Ufer zurück.
Der Chef blickte ihn finster an. »Wie weit sind Sie mit der Ausrüstung?«
»Alles ist bereit. Soll ich jetzt die Lautsprecher in den Kanal werfen?«
»Hier nicht.« Der Chef reichte Max einen Zwanzig-Dollar-Schein und Autoschlüssel. Max starrte verdutzt auf beides.
»Der silberne Jeep vor dem Eingang. Besorgen Sie uns einen Kaffee.«
Die dünne Stimme kratzte an Max' Trommelfellen. Er sah hilfesuchend zu Ceegie, aber sie hatte nur ihre wissenschaftlichen Gedanken im Kopf. Sie war meilenweit von ihm entfernt.
»Ich werde mich beeilen«, sagte er. Dann ging er mit den Schlüsseln davon.
44
Montag, 14. März, 22.29 Uhr
»Schallwellen?« Roman musterte skeptisch die Lubell-Lautsprecher. »Li Qin will es mit einem elektromagnetischen Puls probieren.«
»Ein EMP? Daran habe ich auch schon gedacht. EMPs funktionieren gut bei Handys, aber mit sehr starken kann man Schaltkreise durchbrennen lassen. Sie werden sogar als Waffe benutzt.«
»Aha.« Romans Blick schweifte ab.
»Es wäre sehr schwierig, die Energiestärke zu regulieren«, fuhr sie fort. »Wir könnten das neuronale Netz stören. Es ist viel zu riskant.« Sie stellte sich vor, wie ein EMP zu Angriffszwecken eingesetzt wurde. Unsichtbar und nahezu lautlos breitete sich wellenförmig eine intensive Elektronenexplosion aus, und die subatomare Strahlung durchdrang jedes leitende Material in der Umgebung – Metalldrähte, elektronische Schaltkreise, Wasser, menschliches Körpergewebe. »Ein EMP ist eine sehr schlechte Idee«, sagte sie.
»Das Kolloid hat einen Menschen getötet.« Roman blickte düster auf das Wasser und schlug sich mit dem Handrücken auf die Hose, immer und immer wieder, offenbar völlig unbewusst. »Es treibt sich in meinem Kanal herum, und ich beabsichtige, diese Gefahr zu neutralisieren.«
Sie nahm die Lautsprecher und drängte Roman mit einem Hüftstoß zur Seite. »Wir können nicht vorhersagen, wie das Kolloid darauf reagieren wird. Ein elektromagnetischer Puls könnte es zu
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