WattenMord (German Edition)
Körpergröße und blickte auf das Wasser hinaus wie ein alter Seemann, der auf die Ankunft seines Schiffes wartete. Gedankenverloren, einsam, stand er regungslos da und rauchte. Die etwas zu langen, dunklen Haare waren von silbernen Fäden durchzogen. Er trug eine altmodische Jeans mit Bundfalten, dazu ausgelatschte Schuhe und einen dünnen Sommermantel. Obwohl sie ihn nur von hinten sah, erinnerte sie der Mann an ihren Vater.
Fast wie Papa, dachte sie wehmütig. Würde Petersen das Schicksal ihres Vaters nun teilen? Auch Norbert Ulbricht war Kommissar gewesen. Er war verheiratet gewesen, aus dieser Ehe war Wiebke hervorgegangen. Doch bald schon hatte ihre Mutter die Nase voll davon gehabt, dass die kleine Familie die meiste Zeit ohne Vater und Mann auskommen musste, weil dieser Verbrecher jagte. Mutter hatte ihn in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen und war an die See gezogen, um mit der kleinen Wiebke ein neues Leben zu beginnen. Natürlich dachte sie als Mädchen oft an ihren Vater und vermisste ihn sehr, doch irgendwie hatten sie sich aus den Augen verloren.
Und jetzt Petersen. Seine Frau hatte ihn aus dem gleichen Grund verlassen.
„Scheiß auf die Liebe – wir müssen Verbrecher jagen“, riss seine Stimme sie aus den Gedanken, als das Klingeln eines Handys immer lauter wurde. Er kratzte den Rest Rührei zusammen und zupfte das Telefon aus der Jackentasche. Nach einem Blick auf das Display nickte er Wiebke zu. „Das ist Dierks. Wahrscheinlich hat Hansen sich schon über mich beschwert.“
Wiebke trank einen Schluck Mineralwasser und folgte dem Telefonat ihres Kollegen.
„Wer sagt das? … Piet? Ich denk, der ist in Kiel bei der Obduktion? … Ach so. Aber das müssen wir ihm erst mal beweisen – wär‘ ja ein Hammer. … Unsinn, nein, wir bleiben trotzdem am Ball, klar. … Ja, Mattes, wir müssen schnacken, aber nicht jetzt. … Sicher, wir fahren sofort los. Tschüss!“
Petersen drückte die rote Taste und ließ das Handy in seiner Tasche verschwinden. „Es gibt Arbeit“, kommentierte er und leerte sein Glas. „Ich erzähl dir alles unterwegs.“ Als sie zum Dienstwagen eilten, war der hochgewachsene Mann am Kai wie vom Erdboden verschwunden.
Husum, Gewerbegebiet Ost, 14.45 Uhr
Auf dem Weg ins Gewerbegebiet berichtete Petersen ihr, was er von Matthias Dierks erfahren hatte. Im Auto war es warm, und Wiebke hatte die Seitenscheibe einen Spaltbreit geöffnet. Der Wind spielte mit ihrem dunklen Haar. Die Stadthäuser schienen an dem Mondeo vorbeizufliegen.
„Piet hat die Fingerabdrücke, die er in dem Technikraum des Multimar gefunden hat, ausgewertet. Natürlich gab es zahlreiche Spuren, die von Mitarbeitern stammen.“
„Heißt das, dass Piet sämtliche Mitarbeiter bereits erkennungsdienstlich erfasst hat?“ Wiebke staunte nicht schlecht.
„Dierks hat ihm Verstärkung gegeben“, nickte Petersen. „Sonst wär das in den paar Stunden nicht möglich. Aber er hat auch Prints im Multimar gefunden, die keinem der Mitarbeiter zugeordnet werden konnten.“
„Sondern?“
„Es sind eindeutig die Fingerabdrücke eines gewissen Jörn Holst gefunden worden.“ Petersen grinste zu ihr herüber. „Na, klingelt`s, Mädchen?“
Wiebke überlegte fieberhaft, woher sie den Namen Jörn Holst kannte. Dann fiel es ihr ein. „Der Bauunternehmer Jörn Holst?“
„Bauunternehmer ist zu viel gesagt. Er hat sich stark verkleinert und macht nur noch Handlangerarbeiten, das soll er uns aber gleich selbst mal erzählen.“ Vor einer roten Ampel stoppte Petersen. Nervös trommelte er auf dem Lenkrad herum.
Nun verstand Wiebke, warum ihr Partner plötzlich so hektisch war. „Moment, Moment. Wenn Piet die Fingerabdrücke in seinem System gefunden hat, dann bedeutet das doch, dass Holst schon einmal auffällig geworden ist.“
„Exakt.“ Die Ampel wurde grün, und Petersen trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Er schien keine Zeit verlieren zu wollen. „Jörn Holst ist unserem Verein bereits bekannt. Er ist vorbestraft – gegen ihn hat es vor einiger Zeit eine Anzeige wegen Körperverletzung gegeben. Und nun rate mal, wem er damals an den Kragen wollte?“
Wiebke musste nicht lange überlegen. Petersens Fahrstil sprach seine eigene Sprache. „Du meinst, Heiners und Holst sind schon mal aneinandergeraten?“
Petersen nickte. „Wie Dierks am Telefon sagte, ging es bei dem Streit um die Dumpingpreise im Baugewerbe. Jörn Holst hat für Heiners gearbeitet. Der hat ihm die Preise diktiert,
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