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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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einen seiner Diener mit einem weißen Handschuh im Zimmer umhergehen, der damit prüfen sollte, ob irgendwo Staub lag.«
    Waylander lachte laut auf. »Ja, das ist ganz Matze Chai«, sagte er.
    »Ich fand es nicht amüsant, Herr. Genau genommen war es ausgesprochen aufreizend. Andere Diener rissen die Laken vom Bett und untersuchten es auf Flöhe, während wieder andere mit Tüchern und Lappen erschienen und begannen, das Schlafzimmer zu säubern und zu parfümieren. Währenddessen saß dein Freund die ganze Zeit auf dem Balkon. Er sagte kein Wort zu mir, sondern ließ seine Anweisungen durch den Hauptmann seiner Leibwache übermitteln. Du sagtest, dass Matze Chai unsere Sprache perfekt spricht, trotzdem hat er kein Wort zu mir gesagt. Ausgesprochen unhöflich. Ich wünschte, du wärst dabei gewesen. Vielleicht hätte er sich dann etwas zivilisierter benommen.«
    »Du magst ihn nicht?«, fragte Waylander.
    »Allerdings nicht, Herr.«
    »Glaub mir, Omri. Wenn du ihn erst näher kennen lernst, wirst du ihn verabscheuen.«
    »Darf ich fragen, Herr, was du an ihm magst?«
    »Das frage ich mich auch ständig«, antwortete Waylander mit einem Lächeln.
    »Daran zweifle ich nicht, Herr, aber wenn ich so sagen darf, das ist keine Antwort.«
    »Eine ausführliche Antwort würde dich nur noch mehr verwirren, mein Freund. Lass mich nur eins sagen: Es gibt nur eine Tatsache, die ich über Matze Chai mit Gewissheit weiß. Er heißt nicht Matze Chai. Er ist eine Erfindung. Ich vermute, dass Matze aus niederen Kreisen stammt und sich seinen Weg nach oben von der untersten Stufe der kiatzischen Gesellschaft heraufgeschuftet, und sich auf jeder Stufe neu erfunden hat.«
    »Du meinst, er sei ein Betrüger?«
    »Nein, weit entfernt. Matze ist ein lebendes Kunstwerk. Er hat etwas, das er für minderwertig hielt, in einen makellosen kiatzischen Edelmann verwandelt. Ich bezweifle, dass er auch nur sich selbst gestattet, sich an seinen Ursprung zu erinnern.«
    Waylander ging weiter durch den Mondschein zu seiner eigenen Wohnung. Am Rand der Klippe blieb er stehen und blickte hinaus auf das dunkle Meer. Der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, wurde gebrochen und glänzte auf den sanften Wellen. Er blieb eine Weile still stehen, während ein leichter Seewind ihm ins Gesicht blies, und wünschte, es wäre ihm ebenso gut gelungen, sich neu zu erfinden wie Matze Chat.
    Er warf einen Blick auf die zwei Monde: das hochstehende vollkommene Licht am Himmel und sein gebrochener Zwilling auf den Wellen. Dabei fielen ihm die Worte des Sehers ein: »Wenn du deine Augen schließt und an deinen Sohn denkst, was siehst du dann?«
    »Ich blicke in sein totes Gesicht. Er liegt auf der Wiese, und um ihn herum blühen Frühlingsblumen.«
    »Du wirst nicht eher glücklich sein, bis du nicht in sein Gesicht blickst«, hatte der alte Mann ihm erklärt.
    Die Worte waren damals sinnlos gewesen und waren es heute noch. Der Junge war tot: ermordet und begraben. Waylander würde nie in sein Gesicht blicken können. Es sei denn, der Seher hatte gemeint, er solle ihn sich in einem spirituellen Paradies hoch über den Sternen vorstellen.
    Waylander tat einen tiefen Atemzug, dann ging er weiter den Klippenpfad entlang. Vor ihm lag eine Reihe von Terrassen, die mit Blumen bewachsen und von duftenden Büschen umgeben waren. Waylander wurde langsamer, dann blieb er stehen.
    »Komm heraus, Junge«, sagte er müde.
    Der junge, blonde Edelmann erhob sich langsam hinter einem Busch. In seiner Hand hielt er ein Kurzschwert mit vergoldetem Griff, eine leichte zeremonielle Waffe, die bei offiziellen Anlässen getragen wurde. »Hast du denn gar nichts aus dem Tod deines Bruders gelernt?«, fragte Waylander.
    »Du hast ihn getötet?«
    »Ja, ich habe ihn getötet«, sagte Waylander kalt. »Ich habe ihm den Kehlkopf zerschmettert und er ist auf dem Fußboden erstickt. Als er starb, hat er sich in die Hose gemacht. Das passiert eben. Das ist die Wirklichkeit. Er ist tot, und wofür?«
    »Für die Ehre«, sagte der junge Mann. »Erstarb für die Ehre der Familie.«
    »Wo hast du nur deinen Verstand?«, fuhr Waylander ihn an. »Ich habe deinem Onkel Geld geliehen, und als er es nicht zurückzahlen konnte, lieh ich ihm mehr. Ich tat das, weil er Versprechungen machte, Versprechungen, die er nie einlöste. Wer ist also unehrenhaft? Jetzt ist dein Bruder tot. Und nur damit der dicke Vanis dem finanziellen Ruin entgeht? Ein Mann von seiner Dummheit endet ohnehin irgendwann im

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