Weber David - Schwerter des Zorns - 2
das abwartende Schweigen. Gurlahn Karathson,
sein letzter noch lebender Bruder, räusperte sich.
»Den jüngsten Berichten zufolge sind sie frei«, antwortete er. Gur
lahn hatte vor fünfzehn Jahren sein linkes Bein verloren. Nachdem
er nicht mehr im Feld hatte kämpfen können, war er zum Stabschef
seines Bruders avanciert. Jetzt blätterte er seine Notizen durch.
»Der Schnee ist geschmolzen«, fuhr er fort. »Die Kundschafter be
richten zwar, dass die Straße von Hurgrum nach Navahk nach wie
vor eine einzige Schlammpiste ist, aber auf der Ebene zwischen
Gorchcan und Sondur sieht es besser aus. Wir werden nicht beson
ders zügig vorankommen, aber wenigstens haben wir keine Kavalle
rie, um die wir uns kümmern müssten.«
»Hm.« Bahnak nickte und betrachtete immer noch die Karte. »Und
was ist mit der Böschung?«
Einige seiner Offiziere sahen sich bei dieser Frage erstaunt an,
doch Gurlahn zeigte keinerlei Überraschung. Die so genannte Bö
schung, in Wirklichkeit eine ungeheure Steilwand, über die sich die
Ebene des Windes aus den Niederungen erhob, war die historische
Barriere zwischen den Sothôii und den Pferdedieben. Sie stieg über
ihre ganze, gewaltige Länge beinahe vertikal in eine Höhe von fast
dreihundertfünfzig Metern auf. Es gab nur wenige Furten, über die
Kavallerie diese Böschung hinab- oder hinaufreiten konnte. Die
Ausgänge der Schluchten auf der Ebene des Windes waren von den
Sothôii stark befestigt worden. Entschlossene Infanteristen aller
dings konnten an erheblich mehr Stellen hinaufsteigen. Im Lauf der
Jahrhunderte hatten die Pferdediebe alle diese Stellen ausnahmslos
gefunden.
»Den Berichten zufolge hat der Frühling auf der Ebene des Windes
gerade erst eingesetzt«, erklärte Gurlahn. »Die meisten Furten an
der Böschung stehen bis zum Rand unter Schmelzwasser. Das dürfte
auch noch einige Wochen so bleiben.«
Bahnak knurrte erneut. Er bemerkte die Spekulationen, die seine
Frage geweckt hatte, ignorierte sie jedoch. Was seine Offiziere auch
denken mochten, er hegte nicht das geringste Interesse, die Bö
schung zu erklimmen und die Sothôii anzugreifen. Seit über zwan
zig Jahren hatte kein ernster Überfall der Pferdediebe auf die Ebene
des Windes mehr stattgefunden und Bahnak hatte in den letzten
zehn Jahren seinen Eisenaxt-Clansleuten sogar die kleineren Raub
züge untersagt. Bedauerlicherweise hatte er die anderen Clanpatri
archen der Pferdediebe nicht überzeugen können, eine ähnliche Zu
rückhaltung an den Tag zu legen. Bahnak wollte Frieden mit den
Sothôii, wusste jedoch nicht, ob sich die Sothôii darüber eigentlich
klar waren. Solange die Böschung unpassierbar blieb, konnte er sich
sicher fühlen, dass ihm niemand in den Rücken fiel, während er
Churnazh erledigte. Jedenfalls hoffte er das.
Diese Überlegung jedoch drängte ihn noch mehr zum schnellen
Handeln, und Gurlahns Bericht über die Lage auf den Straßen ver
sprach ihm zumindest einen kurzfristigen Vorteil, wenn er rasch
handelte. Im Gegensatz zu Pferdedieben waren die Blutklingen
klein genug, um eine schwere Kavallerie nach dem Vorbild der an
deren Menschenrassen aufstellen zu können. Und sie versuchten,
mittels dieser Reiterei den Vorteil der größeren und kräftigeren Pfer
dediebe im Kampf auszugleichen. Allerdings war die Infanterie der
Pferdediebe bei diesen schlammigen Bedingungen erheblich beweg
licher als die schweren Kavalleriepferde.
»Also gut.« Er holte tief Luft, als er sich zu Barodahn und Tharak
Morchanson umdrehte, seinen beiden obersten Feldherrn. »Bar
odahn, ich möchte, dass ihr – du und deine Männer – euch bei Ta
gesanbruch zur Straße nach Gorchcan aufmacht. Du weißt, was du
von dort aus zu tun hast.«
»Aye, Da«, erwiderte Barodahn ernst. Bahnak wandte sich an Hur
thangs Vater.
»Für dich habe ich eine andere Aufgabe, Tharak. Sie ist nicht so
ruhmreich, jedenfalls zunächst nicht, aber genauso wichtig. Ich
möchte, dass du mit deinen Männern geradewegs durch den
Schlamm auf Navahk zu marschierst. Den Berichten der Kundschaf
ter zufolge«, er deutete auf die Nadeln auf der Karte, »hat Churnazh
seine Hauptstreitmacht gegen einen Frontalangriff massiert, was
auch sehr wahrscheinlich ist, weil wir genau dasselbe im letzten
Feldzug getan haben. Er hat zwar einen Flankenschutz gegen Son
dur eingerichtet, er scheint aber den Hauptschlag direkt aus Hur
grum zu erwarten. Es ist deine Aufgabe, ihn in dieser Meinung zu
bestärken. Setz ihm hart zu und treibe ihn zurück, falls du
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