Weg der Träume
Glas Wein und fühlte sich grauenhaft. Der Wein würde ihr auch nicht helfen, das wusste sie, und trotzdem wollte sie sich ein drittes Glas einschenken, sobald dieses leer war. Sie hatte nie viel getrunken, aber es gab Tage, da war es nötig.
Und heute wäre sie am liebsten allem davongelaufen.
Dabei hatte der Tag gar nicht schlecht angefangen. Morgens und beim Frühstück war noch alles in Ordnung, aber danach war es rapide abwärts gegangen.
Irgendwann in der Nacht hatte der Heißwasserboiler in ihrer Wohnung den Geist aufgegeben, und so musste sie vor der Schule kalt duschen. Drei, vier Schüler in ihrer Klasse waren erkältet und niesten und husteten sie an, wenn sie nicht gerade Blödsinn machten. Die übrigen ließen sich von der Unruhe anstecken, und Sarah schaffte nur das halbe Pensum. Nach dem Unterricht blieb sie noch in der Schule und bereitete Stunden vor, und als sie schließlich nach Hause fahren wollte, war einer der Reifen platt. Die Pannenhilfe, die sie anrief, ließ eine Stunde auf sich warten. Auf dem Weg nach Hause stellte Sarah fest, dass die Straßen wegen des Chrysanthemen-Festivals abgesperrt waren und sie drei Blocks entfernt parken musste. Und zu guter Letzt hatte zehn Minuten nach ihrer Rückkehr eine Bekannte aus Baltimore angerufen und verkündet, dass Michael im Dezember wieder heiraten wollte.
In dem Moment hatte Sarah den Wein entkorkt.
Jetzt spürte sie allmählich den Alkohol und wünschte, der Reifenwechsel hätte etwas länger gedauert, denn dann hätte sie den Anruf verpasst. Die Anruferin war keine enge Freundin - sie hatten sich über Michaels Familie kennen gelernt -, und Sarah wusste nicht, warum die Frau es für nötig befunden hatte, sie zu informieren. Und obwohl die Bekannte die Neuigkeit mit der angemessenen Mischung aus Mitgefühl und Ungläubigkeit weitergegeben hatte, konnte sich Sarah nicht des Verdachts erwehren, dass sie umgehend Michael hinterbringen würde, wie Sarah reagiert hatte. Gott sei Dank hatte sie Haltung bewahrt.
Aber das war vor den zwei Gläsern Wein gewesen, und jetzt war es nicht mehr so einfach. Sie wollte nichts über Michael wissen. Sie waren geschieden, durch Gesetz und eigene Wahl getrennt, und anders als andere geschiedene Paare hatten sie seit ihrem letzten Treffen beim Rechtsanwalt vor eine m Jahr nicht mehr miteinander gesprochen. Damals hatte sie sich glücklich geschätzt, ihn los zu sein, und die Papiere kommentarlos unterzeichnet. Der Schmerz und die Wut waren einer Art Apathie gewichen, ausgelöst durch die bestürzende Erkenntnis, dass sie ihren Mann nie wirklich gekannt hatte. In der Zeit danach rief er nicht an und schrieb nicht, und für sie galt dasselbe. Sie verlor den Kontakt zu seiner Familie und den früheren Freunden, er zeigte kein Interesse an ihrem neuen Leben. Auf gewisse Weise kam es ihr bald vor, als seien sie nie verheiratet gewesen. Das jedenfalls hatte sie sich eingeredet.
Und jetzt würde er wieder heiraten.
Das konnte ihr doch gleichgültig sein! So oder so machte es für sie keinen Unterschied.
Aber es war ihr ganz und gar nicht gleichgültig, und das ärgerte sie. Sie hatte immer gewusst, dass Michael wieder heiraten würde. Er hatte es ihr gleich gesagt.
Damals hatte sie zum ersten Mal Hass auf einen Menschen empfunden.
Aber echter Hass, ein Hass, der einem den Magen zusammenkrampft, ist ohne eine gefühlsmäßige Bindung nicht denkbar. Sie hätte Michael nicht halb so sehr gehasst, wenn sie ihn nicht anfangs so sehr geliebt hätte. Vielleicht war sie naiv gewesen, aber sie hatte angenommen, sie beide würden für immer ein Paar bleiben. Sie hatten sich schließlich Treue und ewige Liebe versprochen, und Sarah stammte aus einer Familie, die dieses Versprechen seit Generationen ernst nahm. Ihre Eltern waren seit fast fünfunddreißig Jahren verheiratet, beide Großeltern seit nahezu sechzig Jahren. Auch als es in ihrer Ehe bereits kriselte, hatte Sarah noch geglaubt, sie und Michael würden ihrem Vorbild folgen. Leicht würde es nicht werden, das wusste sie, doch als er schließlich die Wünsche und Ansichten seiner Familie über sein Ehegelöbnis stellte, war Sarah sich unbedeutender vorgekommen als je zuvor in ihrem Leben.
Aber jetzt würde sie nicht die Fassung verlieren, sie war schließlich darüber hinweg…
Sarah trank den Wein aus und erhob sich von der Couch. Sie wollte es einfach nicht glauben, sie weigerte sich, es zu glauben! Sie war mit ihm fertig. Wenn er jetzt zu ihr zurückgekrochen
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