Weg der Träume
würde. Ganz gleich, was die Zukunft in Bezug auf Sarah bringen würde, sein Leben änderte sich. Er selbst änderte sich.
Warum machte ihm dieser Gedanke solche Angst? Die Antwort gab ihm der flimmernde Bildschirm.
Vielleicht lag es daran, dass Miles nie herausgefunden hatte, was wirklich geschehen war.
Kapitel 10
Missy Ryans Beerdigung fand an einem Mittwochvormittag in der Episkopalkirche von New Bern statt. Die Kirche fasste an die fünfhundert Menschen, aber an jenem Tag war sie nicht groß genug. Viele Leute mussten stehen, und einige hatten sich draußen vor den Toren versammelt, um möglichst nahe dabei zu sein.
Ich weiß noch, dass es am Morgen regnete. Es war kein starker, aber ein stetiger Regen, ein Spätsommerregen, der die Erde abkühlt und die Luft reinigt. Nebel lag dicht über dem Boden, ätherisch und geisterhaft, und in den Straßen bildeten sich kleine Pfützen. Ich betrachtete die Parade schwarzer Schirme, die vielen schwarz gekleideten Menschen. Die Trauergäste schritten so langsam voran, als bewegten sie sich durch Schnee.
Ich sah, wie Miles Ryan aufrecht in der vordersten Kirchenbank saß. Er hielt Jonahs Hand. Jonah war damals erst sechs - alt genug, um zu verstehen, dass seine Mutter tot war, aber noch nicht alt genug, um zu begreifen, dass er sie nie wiedersehen würde. Er wirkte eher verwirrt als traurig. Sein Vater blickte bleich und mit zusammengepressten Lippen den Menschen entgegen, die ihm eine Hand entgegenstreckten oder ihn umarmten. Es fiel ihm offensichtlich schwer, ihnen direkt in die Augen zu sehen, aber er weinte nicht. Ich wandte mich ab und setzte mich in die letzte Reihe. Ich sagte nichts zu ihm.
Ich werde den Geruch nie vergessen, diese Mischung aus altem Holz und brennenden Kerzen. Neben dem Altar spielte jemand leise Gitarre. Eine Dame setzte sich neben mich, kurz darauf folgte ihr Mann. Sie hielt ein Papiertaschentuch in der Hand, mit dem sie sich die Augenwinkel betupfte. Ihr Ehemann hatte die Hand auf ihr Knie gelegt. Immer noch strömten Menschen in den Vorraum, aber in der Kirche war es still, man hörte nur unterdrücktes Weinen. Niemand sprach, alle waren stumm und fassungslos.
In diesem Augenblick wurde mir schlecht.
Ich kämpfte gegen die Übelkeit an, fühlte Schweißperlen auf der Stirn. Meine Handflächen waren klamm. Ich wollte nicht hier sein, ich hatte nicht kommen wollen. Am liebsten wäre ich aufgestanden und weggegangen.
Aber ich blieb.
Als der Gottesdienst begann, hatte ich Mühe, mich zu konzentrieren. Wenn Sie mich heute fragen, was der Pfarrer gesagt hat oder Missys Bruder in seiner Gedenkrede, könnte ich es nicht sagen. Ich weiß nur noch, dass mich die Worte nicht getröstet haben. Ich konnte nur an eines denken: Missy Ryan hätte nicht sterben dürfen.
Nach dem Gottesdienst bewegte sich ein langer Trauerzug zum Cedar-Grove-Friedhof. Jeder Sheriff und Polizeibeamte aus dem County schien daran teilzunehmen. Ich wartete, bis fast alle ihre Autos gestartet hatten, dann reihte ich mich ein und folgte dem Wagen vor mir. Alle Scheinwerfer waren angestellt. Wie ein Roboter schaltete ich auch meine an.
Während der Fahrt wurde der Regen stärker. Die Scheibenwischer schoben das herabrinnende Wasser hin und her.
Der Fñedhof lag nur wenige Minuten entfernt.
Die Trauergäste parkten, Schirme öffneten sich, überall staksten Menschen durch die Pfützen. Ich folgte blindlings und stellte mich am Grab in die hinterste Reihe. Ich sah auch Miles und Jonah wieder. Sie hatten die Köpfe gesenkt und waren triefend nass. Die Sargträger brachten den Sarg ans Grab. Er war von Hunderten von Kränzen umrahmt.
Wieder dachte ich: Ich will nicht hier sein. Ich hätte nicht kommen sollen. Ich gehöre nicht hierher.
Aber ich war da. ich hatte wie unter einem Zwang gehandelt. Ich musste Miles sehen, ich musste Jonah sehen. Schon damals wusste ich, dass unser Leben für immer untrennbar verbunden sein würde.
Ich musste dabei sein, verstehen Sie.
Schließlich war ich der Fahrer des Unfallwagens.
Kapitel 11
Der Freitag brachte die erste frische herbstliche Brise. Am Morgen überzog leichter Raureif die Rasenflächen. Die Leute, die in ihre Autos stiegen und zur Arbeit fuhren, sahen ihren Atem als Wölkchen. Noch eine Woche bis Halloween. Die Eichen und Hartriegel und Magnolien waren schon seit einer Woche rot oder orangefarben gesprenkelt. Sarah stand in der Abenddämmerung am Fenster und betrachtete sie nachdenklich.
In ein paar Minuten würde Miles
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