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Wege des Herzens

Wege des Herzens

Titel: Wege des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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daran, dass Jessica bei ihnen zu Hause blieb.
    Hilary schaute sich in der Küche um und lächelte erleichtert. Mehr, als ein paar neue Regale aufzuhängen und hier und da die Wand zu streichen, musste nicht gemacht werden. Und um die Kosten dafür hereinzubekommen, konnte sie ein paar zusätzliche Buchhaltungsaufträge annehmen. Aber das Wichtigste war, dass ihrer Mutter nichts Schlimmes passiert war.
    Am liebsten wäre Hilary aufgesprungen und ihrem Sohn um den Hals gefallen, aber der hätte bestimmt nur gesagt: »Lass mich los, Mam, du wirst ja sentimental.« Stattdessen kam sie wieder auf das Thema »Mädchen« zu sprechen. »Weißt du, deine Generation hat wirklich Glück. Ihr könnt mehr oder weniger tun, wozu ihr Lust habt. In deinem Alter waren wir total verklemmt und zugeknöpft bis obenhin. Alles, was du über uns gelesen hast, stimmt.«
    »Das waren eben andere Zeiten«, meinte Nick verständnisvoll. »Ihr wart deswegen so auf Sex fixiert, weil das ein Tabuthema war. Heutzutage kann man doch an jeder Straßenecke Sex haben, und deshalb sind die Leute auch viel entspannter.«
    »Und, gibt es an jeder Straßenecke Sex?«, fragte Hilary lächelnd.
     
    Hilary brachte Ania ein buntes Halstuch als Geschenk mit.
    »Wofür bedankst du dich bei mir, Hilary?«
    »Weil du mir immer so viel abnimmst und dich nie beklagst. Du bist wirklich clever, du könntest dich überall einarbeiten.«
    Ania errötete vor Stolz, während sie über das Tuch strich, als wäre es der kostbarste Stoff der Welt. »Heute Abend schreibe ich an meine Mutter und erzähle ihr von dem Geschenk«, sagte sie.
    »Schreibst du ihr jede Woche?«
    »Ja, ich erzähle ihr von dem Land, in dem ich jetzt lebe, und von den Menschen, die ich hier kennenlerne.«
    »Und erzählst du deiner Mutter auch von deinem Liebesleben?«, wollte Hilary wissen.
    »Nein, aber ich habe auch kein Liebesleben. Als ich noch in Polen war, hatte ich zu viel Liebesleben, aber jetzt nicht. Jetzt arbeite ich so viel, dass ich keine Zeit für die Liebe habe.«
    Hilary schmunzelte. »Das ist aber schade. Du kennst doch den Ausdruck, dass Liebe Berge versetzen kann.«
    »Ja, aber bei mir hat die Liebe nur alles durcheinandergebracht. Ich denke, ohne bin ich besser dran. Jetzt verdiene ich Geld, und die Liebe kommt später.«
    »Aber mal angenommen, dein Traummann steht plötzlich vor dir. Was würdest du dann tun? Ihn bitten, zehn Jahre zu warten?«, fragte Hilary.
    »Zehn Jahre nicht, aber vielleicht fünf. Ich will nämlich meiner Mutter ein kleines Geschäft kaufen, mit einer Werkstatt und einer Wohnung darüber. Sie ist Schneiderin. Wenn über der Tür ihr Name steht und im Schaufenster Kleider von ihr liegen, dann werden die Leute in der Stadt Respekt vor ihr haben und sie nicht mehr bemitleiden.«
    »Ich bin sicher, dass sie jetzt auch kein Mitleid mit ihr haben, Ania.«
    »Doch, das haben sie. Wegen mir. Ich war so dumm. Wenn du wüsstest. Ich habe ihr in unserem Land viel Schande bereitet. Sie konnte den Kopf nicht mehr heben und den Leuten in die Augen schauen.«
    »Himmel, was hast du nur getan, Ania?«
    »Ich habe einem Mann geglaubt, der mir Lügen erzählt hat. Weißt du, als er gesagt hat: ›Ich liebe dich‹, da habe ich es ihm geglaubt.«
    »Das tun alle Frauen immer wieder und überall auf der Welt. Männer übrigens auch«, erwiderte Hilary.
    »Aber
dein
Mann hat dich geliebt.«
    »Ja, schon, aber das war etwas anderes, und es ist schon viele Jahre her. Die Welt hat sich seitdem sehr verändert. Erst gestern Abend habe ich mich mit meinem Sohn darüber unterhalten, dass man heutzutage quasi an jeder Straßenecke Sex haben kann. Stell dir nur vor!«
    »Ich kann mir vorstellen, dass man mit dir gut über solche Dinge reden kann. Meine Mutter hätte mit mir nie über Sex gesprochen. Das war ihr viel zu peinlich.«
    »Und deine Schwestern, haben sie mit dir darüber gesprochen?«
    »Nein, sie haben sich alle so geschämt für mich, als das passiert ist. Beide haben mit siebzehn, achtzehn Jahren geheiratet, die Söhne von Nachbarn. Aber ich habe mich in einen Mann verliebt, der von weit her in unseren Ort kam, um dort ein Lokal zu eröffnen.«
    »Und das hat er auch getan?«
    »Ja, und eine Weile ist es gut gelaufen. Aber dann hat er mehr Geld gebraucht und hat die Tochter eines reichen Mannes geheiratet.«
    »Statt dich zu heiraten?«
    »Mich, die Tochter einer armen Schneiderin, die keinen Vater mehr hatte? Aber ich habe wirklich geglaubt, dass er mich liebt.« Ania

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