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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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wissen Sie, aber ich hatte das Gefühl, dass ihr Leben sich gerade zum Positiven entwickelte. Das hat mich wirklich für sie gefreut. Schrecklich, wenn jemand so jung stirbt.«
    »Ja«, bestätigte Butts. »Das ist immer besonders hart.«

KAPITEL 13
    Lee und Butts beschlossen, nach Lumberville weiterzufahren, um im Black Bass mit Raymond Santiago zu sprechen. Die Einladung von El Naga, auf seine Kosten im Swan noch zu Mittag zu essen, lehnten die beiden ab. Es kam ihnen unpassend vor, in dieser Situation auf sein großzügiges Angebot einzugehen – insbesondere nachdem sie die Belegschaft des Hotels gerade wegen der ermordeten Kollegin befragt hatten.
    Butts trauerte dem abgelehnten Lunch dennoch nach. Als sie wieder in den gemieteten Sedan stiegen, sinnierte er traurig: »Hat wirklich lecker gerochen da drin.«
    Lee fuhr durch Lambertville zur Brücke Richtung Pennsylvania. Die Stadt wirkte sehr viel wohlhabender als früher, und doch nicht hektisch an diesem Dienstagvormittag. Kinder spielten auf den Bürgersteigen oder fuhren Fahrrad, andere badeten in Plastikplanschbecken in den Vorgärten. In ungefähr einer Woche ging für sie die Schule wieder los. Lee erinnerte sich daran, wie er als Kind diese letzten wunderbaren Sommertage unbedingt in vollen Zügen hatte genießen wollen, bevor die Ferien unwiderruflich vorbei waren.
    Endlich erreichten sie die Brücke.
    »Ich frag mich, was die wohl in der Küche auf dem Herd hatten«, überlegte Butts laut. »Hat wirklich wunderbar gerochen.«
    »Tut mir echt leid«, sagte Lee. »Aber wären Sie sich da drin beim Essen nicht komisch vorgekommen?«
    »Ja, stimmt schon«, sagte Butts, klang aber nicht überzeugt.
    »Okay, falls uns noch Zeit dazu bleibt, essen wir im Black Bass«, schlug Lee vor und bog in die River Road ein, die sie nach Lumberville ins Black Bass Hotel bringen würde.
    Lumberville war ein kleines Dorf am Delaware. Lee hatte als Teenager einmal einen Sommer lang im Black Bass gearbeitet und erinnerte sich noch gut an seinen damaligen Besitzer. Sein Name war Mr Shelton gewesen, ein älterer Herr mit weißem Haar, rosa Teint und einer Schwäche für Boston Terrier. Drei Stück davon hatte er gehalten. Samantha, oder kurz Sam, war die Älteste des Rudels gewesen und die Bösartigste. Lee musste daran denken, mit welch tiefer Zufriedenheit der alte Mann ihm die Hunde vorgestellt hatte. »Und das ist Sam«, hatte er mit einem seltsamen Lächeln gesagt. »Die mag keine Kinder.« Obwohl Lee damals noch keine Ahnung gehabt hatte, was der Begriff Projektion bedeutete, verstand er doch sofort, dass Sam Mr Sheltons Alter Ego war.
    Als er nun mit Butts das Black Bass betrat, lag die vordere Eingangshalle vollkommen verlassen da. In dem alten Gebäude roch es muffig nach morschem Holz und sich langsam ausbreitendem Schimmel. Die breiten Dielenbretter knarrten bei jedem Schritt. Lee schaute sich um. Seit seiner Jugend hatte sich in dem zweihundert Jahre alten Haus nicht viel geändert – der Eingang zur Bar befand sich noch immer auf der rechten Seite, und eine schmale Holztreppe führte hinauf zu den Zimmern. Der kleine Aufenthaltsraum rechts, in dem Mr Shelton damals die Hunde eingesperrt hatte, existierte ebenfalls noch. Davor hing wie früher ein dicker gestreifter Brokatvorhang.
    Sie hörten ein Geräusch aus dem Zimmer, dann kam ein junger, auffallend gut aussehender Mann heraus. Er war mittelgroß mit dunklem Teint und dunklem gelocktem Haar. Sein Gesicht musste man schon fast als schön bezeichnen. Der Mund war wohlgeformt, die Augen mandelförmig. Über seinem weißen Hemd trug er einen marineblauen Blazer und dazu frisch gebügelte Jeans. Er schaute Lee und Butts freundlich lächelnd, dabei aber auch ein wenig misstrauisch an.
    »Tut mir leid, aber wir haben heute Mittag geschlossen. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?«, fragte er, verschränkte die Arme und legte den Kopf schief.
    »Ja, wir würden gern mit Raymond Santiago sprechen«, sagte Butts und schaute durch den geteilten Vorhang.
    Der Mann zog den Vorhang hinter sich zu. »Das bin ich – was kann ich für Sie tun?«
    »Mr Santiago«, sagte Lee. »Vielleicht sollten Sie sich besser setzen. Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten für Sie.«
    »Ich brauche keinen Stuhl. Worum geht es?«
    »Um Ihre Freundin – Ana Watkins«, sagte Butts und zeigte seine Polizeimarke.
    Santiagos Gesicht nahm eine ausdruckslose Miene an, als er die Marke sah. »Was ist mit ihr? Stimmt etwas nicht?«
    Butts

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