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Weiberabend: Roman (German Edition)

Weiberabend: Roman (German Edition)

Titel: Weiberabend: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Fedler
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entbinden? Wie das Bild eines Strandes im Sonnenuntergang auf den Hochglanzseiten eines Reisekatalogs, so sah die Mutterschaft vorher aus. Ein vollkommenes Paradies kindlicher Niedlichkeit und friedvollen Miteinanders. Aber dann kam ich dort an, und das Wasser war zu kalt, in den Tiefen trieben sich Quallen herum, und der Sand war einfach überall. Als die Mutterschaft die Gestalt einer realen Beziehung mit einem anderen Menschen annahm, dessen Gedanken, Wünsche und Eigenschaften nicht mit meinen übereinstimmten, löste sich das friedliche Bild rasch auf. In hilflosem Entsetzen sah ich zu, wie der Mensch, der ich einmal gewesen war, allmählich erodierte.
    Mein Vorsprechen für diese Rolle war beeindruckend gelaufen. Ich war sicher, das mit links zu schaffen. Aber im Verlauf der Tag für Tag stattfindenden Vorführungen begann mir die Rolle »Die Perfekte Mutter« zu entgleiten. Ich kannte den Text in- und auswendig. Ich hatte die Rolle der Mutter geübt, wie Cosette sie in Les Misérables in dem Lied In meinem Schloss beschreibt – die Mutter, die Schlaflieder singt, für alle Kinder Zeit hat und immer sagt: »Ich hab dich furchtbar lieb.«
    An guten Tagen kann ich diese Mutter sein. Wenn die Legosteine nicht über das ganze Haus verstreut sind, wenn Aaron nicht in seiner Begierde nach dem untersten T-Shirt ganze Haufen ordentlich gefalteter Wäsche zerwühlt hat und das »Maaamiii!«-Geheul nicht alle drei Minuten wie vom Band ertönt. Ich kann diese Rolle durchaus überzeugend spielen. Ganz früh am Morgen sind üblicherweise meine besten zwanzig Minuten. Nachdem ich aufgewacht, mir eine Tasse Kaffee gekocht und meine E-Mails abgerufen habe, kommt Aaron noch ganz schläfrig und warm aus dem Bett und kuschelt sich auf meinen Schoß, um geknuddelt zu werden. Wir nennen das »den Lieblingsteil des Tages«. Ich sage schmeichelnde Dinge zu ihm, wie etwa »Wer ist der schönste kleine Junge auf der Welt?«, und »Meine Augen haben dein Lächeln vermisst, während du geschlafen hast«, und er erwidert, »Ich mag dein Gesicht« und »Du bist die beste Mami auf der Welt«.
    Aber sobald er von meinem Schoß springt und das Gewicht seines kleinen Körpers meine Perfektion nicht mehr fest an ihrem Platz hält, schlüpft sie mir durch die Finger wie ein zu stark gefüllter Heliumballon. Ich frage mich, wie das Frühstück heute laufen wird. Bewusst mahne ich mich, geduldig zu sein, wenn er erst Toast mit Erdnussbutter will, dann doch lieber Müsli, und es sich noch weitere drei Male anders überlegt. Ich esse den Toast, ein wenig unglücklich, weil ich nie die Hoffnung aufgebe, meinen Tag irgendwann mit der besonderen Special-K-Extra-Energie beginnen zu können (nur 1% Fett, reich an Protein und Geschmack, mit Apfel und einem Hauch Zimt). Aber ich kann es nun mal nicht sehen, wenn Nahrung verschwendet wird, schon gar nicht, weil Sansiwes kleines Gesicht von dem World-Vision-Foto an unserem Kühlschrank herablächelt. Aaron isst zwei Löffel Müsli, um sich dann zu beschweren, er sei satt und habe Bauchweh. Ich seufze, stelle die Schüssel auf den Boden, damit die Katzen die Milch trinken, und sage ihm, er solle sich anziehen. Er sagt, er will Saft. Mit leicht genervter Stimme sage ich: »Wir können aber keinen Saft trinken, wenn wir unser Frühstück nicht aufgegessen haben, nicht wahr?« Ich hole tief Luft. Ich warte darauf. Und es kommt. Es kommt immer. Sein Zorn. Seine Gemeinheit. »Du bist die blödeste Mami auf der Welt«, verkündet er. »Ich hasse dich.«
    Ich spüre, wie meine Stimme, mein Blutdruck und meine Wut darum ringen, wer zuerst explodieren darf. Ich befehle ihm. »Geh. Und. Zieh. Dich. An.« Er hält stand, die Hände in die Hüften gestemmt, und kreischt mich an: »NEIN. MACH. ICH. NICHT.« Ich zähle bis zehn. Ich denke daran, ruhig zu atmen. Ich wende mich ab. Aber in Wahrheit würde ich ihn am liebsten packen und schütteln und ihm sagen, was für ein abscheulicher kleiner Scheißer er ist. Aber ich tue es nicht. Ich schließe die Augen und denke daran, dass sich in einer Stunde, und dann bis drei Uhr nachmittags, jemand anderes mit ihm herumärgern darf. Stumm danke ich Gott für Kindergärten und Vorschulen, die Müttern wie mir eine Pause von der irrationalen und unbesiegbaren Tyrannei eines Vierjährigen verschaffen.
    Ich sage niemals zu Aaron »Ich hasse dich auch«, aber ich denke es. Ich denke das sogar oft. Ich denke daran, wie ich es hasse, von einem kleinen Menschen derart beschimpft zu

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