Weiberabend: Roman (German Edition)
so erfinden wir alle harmlose Szenarien, um unseren Kindern die Welt zu erklären. Wir weinen heimlich. Trauern hinter verschlossenen Türen. Sagen »Krebs«, »Krieg«, »Terrorismus« nur im Flüsterton. Beten erst um ihre Gesundheit und Sicherheit, wenn sie schon schlafen. Kein Wunder, dass wir alle so erschöpft sind, verdammt. Es ist sehr anstrengend, ständig lügen zu müssen.
Jetzt lauscht Dooly dem Gespräch, wie schön es ist, Mädchen großzuziehen, und über Helens Schwangerschaft, die Hoffnung auf ein neues weibliches Leben verspricht. Sie trägt ein blasses Lächeln zur Schau. Sie lacht, wenn wir lachen, nickt und gestikuliert, aber die Spuren ihres Verlustes trennen sie von uns wie durch eine verkohlte Brandschneise.
»Der Name Cassandra gefällt mir«, sagt sie plötzlich leise.
»Das ist ein wunderschöner Name«, sagt Helen. »Darf ich ihn haben, wenn es ein Mädchen wird?«
Dooly zögert, aber nur ganz kurz. »Natürlich«, antwortet sie lächelnd. »Ich kann ihn ja nicht mehr brauchen.« Ich versuche, Helens Blick aufzufangen. Das war verdammt unsensibel.
»Einfach so?«, frage ich.
»Einfach so was?«, fragt Helen zurück.
»Möchtest du nicht noch ein bisschen über den Namen nachdenken?«
»Warum? Der Name gefällt mir«, sagt Helen.
Ich zuckte mit den Schultern. Im Gegensatz zu Gwyneth Paltrow habe ich sehr sorgfältig die logischen Konsequenzen jedes einzelnen Namens bedacht, die Frank und ich für unsere Kinder in Betracht gezogen haben. Die Verantwortung, einen Namen für eine Person auszusuchen, die ihre Zustimmung nicht geben kann, kam mir ungeheuer groß vor; man sucht jemandem einen Namen aus, der nicht umgetauscht werden kann wie ein schlecht sitzendes Kleid, auf den diese Person bis in alle Ewigkeit hören muss und der eines Tages in ihren Grabstein gemeißelt werden würde. Ich fand den Klang von Namen wie Opal, Willow oder Amber schön, für ein Mädchen. Frank schüttelte den Kopf. »Keine Mineralien, keine Pflanzen«, sagte er schlicht. »Einfach ein netter, ganz normaler Name. Nichts Ausgefallenes.« Obwohl er das Gegenteil behauptet, hat er sich mit seinem eigenen Namen immer noch nicht ganz angefreundet – Sinatra ist für seine Mutter das, was Robbie Williams für mich ist, und ich glaube, er findet es entwürdigend, auf diese Weise ungefragt in die Fantasien seiner Mutter einbezogen worden zu sein.
»Meine Schwester hat ihrem Baby immer noch keinen Namen gegeben«, sagt Fiona. »Und es ist schon fünf Monate alt.«
»Wie nennen sie es denn?«, fragt Helen und streckt sich nach der Sushi-Platte. Ich reiche sie ihr entgegen.
»Das Baby«, sagt Fiona.
»Das ist lächerlich«, sagt Helen. »Ich verstehe gar nicht, was da groß dabei sein soll. Man sucht einfach einen Namen aus, der einem gefällt, und gut ist. Das arme Kind wächst jetzt in dem Glauben auf, es hieße ›Das Baby‹.« Sie legt drei Sushi-Röllchen auf ihren Teller und gibt mir die Platte zurück.
»Möchtest du denn wissen, was es wird?«, fragt Liz.
Mütter gehören entweder zum Typ »Muss es wissen« oder »Will es nicht wissen«. Jene, die alles planen müssen, und andere, die Überraschungen lieben. Das ist wie bei diesen Psycho-Tests in den Zeitschriften, die Helen so toll findet. Was ist Ihnen lieber? A) eine bestätigte Buchung oder B) sich etwas suchen, wenn Sie angekommen sind? Sind Sie A) anal gestört und besessen von Kontrolle oder B) spontan und abenteuerlustig? Vor einer Weile hat Tam uns von neuesten Forschungsergebnissen erzählt, die einen Zusammenhang herstellen zwischen Angststörungen bei Kindern und Müttern, die sich für eine vorausgeplante Kaiserschnittgeburt zu einem praktischen Termin ihrer Wahl entscheiden, statt alles dem Zufall und Mutter Natur zu überlassen. Aber Liz hat nur verächtlich geschnaubt. Wenn ihre Kinder überängstlich sind, ist das Lilys Problem.
»Ich kann warten«, seufzt Helen glücklich.
Helen strahlt eine gewaltige Zufriedenheit aus. Überflüssige Sorgen liegen ihr so fern wie überflüssiges Aufstylen. Sie akzeptiert einfach die Höhen und Tiefen des Lebens und gibt sich niemals eingebildeten Schreckensszenarien hin, wozu ich leider ständig neige. Nichts bringt sie aus der Fassung. Sogar mit dieser Schwangerschaft – ungeplant wie sie ist – wird sie auf ihre robuste, unverzagte Weise locker fertig. Wenn sie es austrägt, wird sie dann schon dahinterkommen, wie sie es lieben und großziehen kann. Wenn sie es verliert, wird sie auch damit
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