Weiberabend: Roman (German Edition)
Schadenfreude heraus.
»Kann man das wirklich so generalisieren?«, fragt Fiona sanft. Sie hat ein Stück gerösteten Kürbis aufgespießt, so dass drei Gabelzinken oben herausragen. »So viele Faktoren haben Einfluss darauf, wie sich unsere Kinder entwickeln – zum Beispiel, ob sie das erstgeborene oder das mittlere Kind sind; ob sie mit ihren Vätern aufwachsen; was für Mütter wir sind …« Ihre Stimme erstirbt. Sie saugt das Stück Kürbis von der Gabel. Da hat sie ein gutes Argument gebracht. Ich wünschte nur, sie hätte es mit mehr Überzeugung vorgetragen. Bevor Tam dazu kommt, ihre »Jungen sind am Besten«-Position zu behaupten, mischt sich CJ ein: »Wisst ihr was?«
»Was denn?«, fragt Fiona ermunternd.
»Ich bin mit den Mädchen viel strenger als mit Liam.« Sie blickt zu uns auf. »Das will ich eigentlich gar nicht, aber sie nerven mich auf eine Art, wie er es einfach nicht tut.«
Es herrscht Schweigen.
CJ fährt fort: »Ich kritisiere viel mehr, wenn die Mädchen unhöflich oder rücksichtslos sind, wisst ihr? Aber wenn Liam so ist, denke ich mir nur, Jungs sind eben so.«
»Darauf müssen wir sehr achten«, sage ich. »Wenn wir von Mädchen erwarten, manierlich und damenhaft zu sein, während Jungs sich wie Rabauken aufführen dürfen, verstärken wir damit nur die alten Stereotype. Damit setzen wir Mädchen unter Druck und entlassen Jungen aus ihrer Verantwortung.« Obwohl ich noch vor ein paar Minuten keinen Appetit hatte, habe ich es geschafft, einen fast vollen Teller leer zu essen.
»Ja, aber ich kann nicht anders«, sagt CJ. »Gefühle sind nun mal Gefühle.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagt Helen. »Mir ist es zum Beispiel total unangenehm, wenn Sarah sich da unten anfasst, aber wenn die Jungs sich in die Hose greifen, ist das irgendwie süß.«
»Das ist ausgesprochen freudianisch«, bemerkt Tam und klopft leise mit der Gabel auf den Tisch.
»Wie meinst du das?«, fragt Helen und greift nach dem Lachsdip.
»Mütter sind mit ihren Töchtern strenger als mit ihren Söhnen, weil Frauen ihre Gefühle über sich selbst – ihre Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle, Schwächen und Hoffnungen – auf ihre Töchter projizieren«, erklärt Tam. »Deshalb haben Mütter eine sehr enge Bindung zu ihren Söhnen. Das ist die am wenigsten komplizierte familiäre Beziehung.«
»Ach ja?«, fragt Helen, die nicht ganz folgen kann.
»Du solltest wirklich mal das Buch von Nancy Friday lesen, Wie meine Mutter«, sagt Tam. »Das ist Pflichtlektüre für Mütter von Mädchen.«
»Vielleicht im nächsten Leben«, sagt Helen.
Ich werfe einen raschen Seitenblick auf Dooly. Seit ihrer Fehlgeburt sind erst zwei Monate vergangen. Bei einer unserer früheren Zusammenkünfte hat sie tatsächlich mal gestanden, wie verzweifelt sie auf ein Mädchen hoffte. Ich hatte damals ein spontanes Ritual angeregt – wir haben alle die Hände auf ihren schwangeren Bauch gelegt und dem Baby alles Gute gewünscht. Ein paar Tage später setzte eine so starke Blutung ein, dass sie nur durch eine radikale Hysterektomie gestoppt werden konnte. Und einfach so war alles vorbei. Ich vermute, allein das Wissen, dass unsere Gebärmutter da ist und allmonatlich ihr blutiges Nest neu auskleidet, ist tröstlich und beruhigend. Wie dieser besondere Schatz, den wir alle als Kinder versteckt haben, weil wir auf den richtigen Augenblick warten wollten, um ihn hervorzuholen – selbst wenn er bis dahin verrostet und nutzlos geworden sein sollte.
Hast du je bemerkt, wie Frauen den Schmerz einer Fehlgeburt ertragen? Das steht in krassem Gegensatz zu den Übertreibungen, zu denen Männer neigen, wenn sie leiden – da stellt ein Husten gleich eine »Lungenentzündung« dar, und ein Leistenbruch »unerträgliche Qualen«. Gelegentlich habe ich von Helen erfahren, dass eine der Mütter in der Vorschule unserer Kinder eine Fehlgeburt hatte. Aber meist hatte ich diese Frau am selben Morgen erst auf dem Flur getroffen, wir hatten einander müde zugelächelt, so im Vorbeigehen. Ihr Schmerz war ihr nicht anzusehen, und ihr Verlust hinderte sie nicht daran, die Obstmahlzeit zur Verfügung zu stellen, wenn sie laut Plan an diesem Tag damit dran war. Alle Mütter bewahren ihre Kinder vor allzu viel Wissen und leugnen großmütig ihre innere Welt voller Schmerzen. Wie der Vater in Roberto Benignis Film Das Leben ist schön, der seinem Sohn zuliebe so tut, als sei ihre Gefangenschaft in einem deutschen Konzentrationslager ein ausgefeiltes Spiel,
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